Interview mit Christoph Strasser

24. September 2019

Bildmaterial: (c) Lex Karelly

Im Juni hat der Österreicher Christoph Strasser zum dritten Mal in Folge und zum sechsten Mal überhaupt das traditionelle Ultra-Radrennen (RAAM) von der West- zur Ostküste Amerikas gewonnen. Das ist Rekord!

4‘939 km, 53‘400 Höhenmeter, 8 Tage, 6 Stunden und 51 Minuten. Die Zahlen sind kaum zu fassen – schlicht beeindruckend. Wie hast du das Rennen erlebt? Kannst du uns Einblick in dein Rennen und deine Gefühlswelt geben?

Im Vorfeld des Starts mischen sich Zuversicht und enormer Respekt ab, das ist auch gut so. Denn obwohl das schon meine 9. Teilnahme war, ist es nie sicher, gesund ins Ziel zu kommen, es kann auf dieser Distanz einfach so viel passieren (Gesundheit, Sturz, Pannen, Wetterkapriolen). Und es kann einen Titelverteidiger und Rekordhalter genauso treffen. Daher hüte ich mich immer davor, mich zu sicher zu fühlen.

Bereits nach fünf Stunden, wo die ersten Berge überwunden und die Wüste erreicht war, erlebte ich meine erste gewaltige Krise. Die Hitze trieb den Puls hoch, die Leistung rasselte in den Keller, es war ein einziger Kampf am Rad und ich dachte mir: „Wie sollte ich das 8 Tage lang durchhalten, wenn ich am Beginn schon völlig am Sand bin?“. Mit gedrosseltem Tempo konnte ich mich in die erste Nacht retten, wo es dann zwar etwas kühler wurde, aber auch gleich enorme Müdigkeit und drohender Sekundenschlaf dazu kamen. Ich wusste aber, dass die erste Nacht immer eine der schwierigsten ist, weil sich der Körper noch im normalen Biorhythmus befindet und sich dann im Laufe des Rennens völlig umstellt. Dann werden viele Probleme wieder besser oder verschwinden, auch die Müdigkeit im Kopf wird besser.

Ab dem zweiten Tag lief es dann verhältnismässig gut. Ich war in meinem Rhythmus, konnte mehr Watt als zu Beginn drücken und einen Vorsprung auf die Verfolger herausfahren, was zusätzliche Motivation erzeugte.

Richtig brutal wurden dann nochmals die letzten zwei Tage und Nächte. Da nimmt der Verkehr zu, der Schlafentzug zermürbt und die kurzen aber sehr steilen Anstiege der Appalachen fordern die letzten körperlichen Reserven.

Die schwierigen Wetterverhältnisse forderten dich in diesem Jahr extrem. Wie bist du mental damit umgegangen? Was läuft bei dir grundsätzlich während einem Rennen im Kopf ab?

Das schlechte Wetter, der starke Regen in der zweiten Hälfte des RAAM, hatten zuerst natürlich sehr negative Auswirkungen. Wir kannten ja auch die Prognose und wussten, dass es sich bis zur Zielankunft vermutlich tagelang nicht wirklich bessern würde.

In den ersten Tagen des Rennens war es heiss, sehr heiss sogar, aber das war im Prinzip das klassische Wetter in Arizona, worauf ich vorbereitet und eingestellt war. Trotzdem musste ich mit der Hitze kämpfen, und eine neuerliche Fabelzeit von unter 8 Tagen, die ich angepeilt hatte, schien nur mehr schwer möglich. Ich war zwischen 2 und 3 Stunden hinter der benötigten Marschtabelle. Meine Leistungsdaten waren gleich gut wie im Jahr davor (2018 finishte ich in 8 Tagen und 1 Stunde), doch die Fahrzeit aufgrund des ungünstigen Windes nicht ganz so schnell. Ich machte mir selbst einigen Druck, kam immer wieder ins Grübeln, warum ich ein paar Stunden langsamer war obwohl ich alles gab. Als dann auch noch der Regen losging, war ich zuerst gewaltig frustriert, doch bald schlug die Stimmung ins Positive: Ich liess das Ziel vom 8-Tage-Finish in meinem Kopf los, akzeptierte, dass das unter diesen Bedingungen unmöglich war, und wollte von da an einfach das Beste aus der Situation machen, und das Ziel so gut und schnell wie möglich erreichen. Die gute Laune kam zurück, der Spassfaktor innerhalb meines Betreuerteams stieg deutlich an, und den Regen liess ich einfach über mich ergehen, ohne mich zu ärgern.

Körperlich war es natürlich sehr hart, die Haut auf den Füssen und Händen leidet trotz Regenschutz massiv, es bilden sich komplett aufgeweichte Stellen und tiefe Falten, die bei jedem Pedaltritt schmerzen, als würde man auf spitze, kleine Steine treten. Aber die letzten Meilen des RAAM sind sowieso immer brutal anstrengend, wenn es trocken und warm ist, kann auch die schwüle Hitze problematisch sein. So war mir wenigstens nicht heiss und ich war immer „frisch“ geduscht!

Was grundsätzlich im Kopf abläuft ist schnell beantwortet: So wenig wie möglich! Dadurch, dass ich mit meiner Crew via Funk verbunden bin und über die Lautsprecher des Begleitautos Musik höre, bzw. mir auch Nachrichten von Fans vorgelesen und Sprachnachrichten von Freunden vorgespielt werden, wird mir eigentlich nie langweilig. Umso weniger Zeit zum Grübeln ich habe, umso besser ist es. Ich betone aber auch immer wieder, wie wichtig ein eingespieltes Team ist, das mich auch bei Laune hält. Wäre ich ohne gutes Team unterwegs, würde ich die Monotonie des Rennens kaum ertragen können.

Zwischen Oceanside an der Pazifikküste und Annapolis am Atlantik hast du gerade mal fünf Schlafpausen und sieben Powernaps gemacht (gesamte Schlafzeit: 9.5 Stunden). Wie bereitet man eine solche Leistung vor? Wie sieht dein Training aus? Kannst du uns Einblick in deinen Trainingsalltag geben?

Man möchte glauben, dass der Umgang mit Schlafentzug trainierbar ist, oder eine besondere Fähigkeit, die nicht jeder hat. Man vergleicht solche Situationen oft mit seinem persönlichen Alltag und dem schlechten Zustand, den man erlebt, wenn man zwei Nächte hintereinander zu wenig geschlafen hat.

Im Alltag bin ich gleich, da schlafe ich gerne 8 Stunden. Ich bin mir aber sicher, dass jeder Mensch in Extremsituationen weniger Schlaf braucht, als im Alltag, und der Körper nur dann diese Ressourcen mobilisiert.

Auf den Schlafentzug beim RAAM bin ich ja wochenlang davor schon eingestellt, die Situation kommt nicht überraschend, sondern das ist alles geplant. Ich kann die Müdigkeit auch nicht alleine ertragen, sondern habe mein Team, ich fühle mich nie allein und meine Betreuer verwickeln mich in Gespräche, muntern mich auf oder verabreichen mir koffeinhaltige Drinks, wenn sie an meiner Körpersprache merken, dass ich eine Schwächephase erleide.

Das körperliche Training ist durch einen professionellen Coach gesteuert, es ist aber gar nicht so aussergewöhnlich wie man glaubt. Überlange Ausfahrten oder Trainings in der Nacht stehen nicht auf meinem Plan, das würde nur die Regeneration verschlechtern. Die Kunst ist es, lange Grundlagen-Einheiten und hochintensive Intervalle so zu mixen, dass ich mich in beiden Bereichen verbessere, ohne zu langsam zu werden, oder an Langzeitausdauer einzubüssen.

In der Praxis bedeutet das im halben Jahr vor dem RAAM in Summe 780 Trainingsstunden, davon viele 6-7 stündige Ausdauereinheiten im unteren Bereich sowie kürzere „brutale Einheiten“ mit einigen 4-, 8-, oder 16-minütigen „all-out Intervallen“. Das Ziel ist, meine FTP-Schwelle über 5 Watt/kg zu heben, was bei dem hohen Umfang wirklich nicht einfach ist. Das Training geht aber auch nach dem RAAM weiter, im Sommer bestritt ich auch noch das Race Around Austria und im September stehen noch einige Zeitfahren am Programm, bevor nach einer kurzen off-Season die Vorbereitung auf das nächste Jahr beginnt.

Der Radsport wird immer technischer. Die Intensitäten werden aufgrund von Tests und Laborwerten bestimmt. Wie teilst du dein Rennen über die knapp 5000 Kilometer ein? Wie kontrollierst du die Intensität unterwegs? Was isst und trinkst du in welchen Intervallen während den 8 Tagen?

Die technischen Hilfsmittel sind meiner Meinung nach wirklich eine grosse Hilfe, ich kann mir mittlerweile Training und Rennen ohne meinen power2max-Leistungsmessung nicht mehr vorstellen. Dazu kommt auch noch die elektronische Schaltung oder das Terrano-Funkgerät mit Headset am Helm, die ich nicht mehr missen möchte. Durch das wattgesteuerte Training kenne ich meine Wattbereiche ganz genau, kann damit das Rennen sehr gut einteilen und pacen. Wobei auch hier ist das RAAM besonders: Auf der enormen Länge kann man ab dem zweiten Tag kaum mehr überziehen, da fällt die Leistung schon ab – wirklich überziehen kann man nur in den ersten 24 Stunden. Und hier kann ich auch kaum nach den Trainingswerten gehen, da die Hitze den Puls hochtreibt, und ich nur kurz meine aus dem Trainingsalltag gewohnten Bereiche fahren kann. Bei 40°C und mehr kann ich unmöglich die gleiche Leistung abrufen, als bei 25°C. Daher muss ich dann im Endeffekt wieder viel auf den Körper hören, und nehme die Watt und Herzfrequenz eher als Kontrollparameter.

Anders ist es aber beim Race Around Austria, wo ich 2018 auf der 550km langen „Challenge“ Strecke bei sehr angenehmen Bedingungen, eine NP von 282 Watt fahren konnte. Da blieb ich von Anfang bis zum Ziel in der angepeilten Watt-Range. (bei Interesse, die Auswertung der RAA-Challenge).

Die Ernährung ist ein Schlüsselfaktor, um bei Ultra-Radrennen stabil seine Leistung bringen zu können. Verbrannt werden an die 15.000kcal pro Tag, das Ziel der Zufuhr sind etwa 12.000kcal, wobei das kleine Defizit durchaus gewollt und unproblematisch ist, da die Fettreserven die Differenz ausgleichen. Diese Menge kann ich natürlich nur mit Flüssignahrung zuführen. Herkömmliche Sportnahrung würde den Magen zu sehr belasten. In meiner „Ensure“ Nahrung finden sich 54% Kohlehydrate, 17% Eiweiss und 29% Fett sowie alle benötigten Mikronährstoffe. Dazu kommen noch je nach Temperatur bis zu 1 Liter Kohlehydrat-Elektrolyt-Drink pro Stunde.

Zu Beginn ist es schwierig, komplett auf feste Nahrung zu verzichten. Natürlich ist der Appetit auf Saures, Salziges und Deftiges gross, aber da muss ich mich die ersten drei Tage vor dem Start, wo die Umstellung bereits beginnt, zur Konsequenz zwingen. Im Rennen fühlt es sich dann genial an: kein Völlegefühl, kein Hunger, und sogar der Geschmack (meine Favoriten sind Schoko und Vanille) taugt mir echt gut. Und sobald ich das Ensure schmecke, weiss ich, es ist RAAM Zeit, und es heisst Vollgas!

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst? 

Das RAAM oder ähnliche Langstreckenrennen sind wie 1000 Teile Puzzles, da kann ich jetzt keinen einzelnen Baustein als Tipp herauspicken. Alleine die Problematik im Sitzbereich (Sitzpolster, Sattel, Position, Sitzcreme) ist eine eigene Wissenschaft und noch dazu sehr individuell. Ich könnte niemandem einen perfekten Sattel empfehlen, da jeder Mensch einen anderen Körperbau hat und daher für jeden Radfahrer ein anderer Sattel ideal passt.

Was ich aber allen mitgeben kann, die sich verbessern möchten: Habt Geduld und erwartet nicht in kurzer Zeit die ganz grossen Sprünge nach vorn. Es gibt keine Abkürzungen, es dauert oft Jahre, bis man fit genug ist um seine Ziele zu erreichen. Es kommen Schwächephasen, Rückschläge und Niederlagen, die sich immer wieder in die Fortschritte und Erfolgserlebnisse einmischen. Aus Rückschlägen lernen, nicht aufgeben und dranbleiben!

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