Interview mit Heinz Frei

21. Juli 2021

Foto: Daniel Streit

Nach einem verhängnisvollen Ausrutscher mit Sturz in ein Tobel erhielt Heinz Frei 1978 die Diagnose Querschnittslähmung. 43 Jahr später gehört der Solothurner mit 15 Goldmedaillen an Paralympics, 14 Weltmeistertiteln und 112 Marathonsiegen unbestritten zu den erfolgreichsten Schweizer Sportlern aller Zeiten. Mit seinen zehnten Sommer-Paralympics möchte er in diesem Sommer diese Bühne verlassen - nicht aber explizit die Karriere beenden...

Während sich andere in deinem Alter Gedanken zur Pensionierung machen, misst du dich mit den Weltbesten an den Paralympics. Was ist dein Erfolgsrezept?

Meine Freude und Motivation, sportlich aktiv zu sein und sich mit der Konkurrenz messen zu wollen, ist nie eingebrochen. Dazu war ich stets gesund und voller Tatendrang, wodurch der Spieltrieb nie getrübt war! Ich darf noch - muss aber längst nicht mehr: Das befreit und sorgt dafür, dass ich an dieser Herausforderung spielerisch wachse, was wohl das Erfolgsrezept schlechthin ist!?

Nie hatte ich den Eindruck, dass ich wegen der Intensität des Sports auf anderes verzichten müsste. Es ist bis zum heutigen Tag ein sehr bereicherndes Element meines Lebens. Ganz zu schweigen von der Lebensfreude und Lebensqualität, von welcher ich gerade als Rollstuhlfahrer profitiere!

 

Seit bald 40 Jahren bist du Teil des Behindertensports und prägst diesen mit. Welches sind die grössten Entwicklungen?

Ich wurde am 9. Juli 1978 zum Rollstuhlfahrer, als der Rollstuhlsport noch kaum wahrgenommen wurde. Erste Sportgeräte mussten selbst gebaut und "ausgetüftelt" werden! Ich baute mit Peter Gilomen - einem Krienser Rollstuhl-Kollegen - in seiner Garage einen ersten Rennrollstuhl und gleichzeitig auch einen Langlaufschlitten. Sportgeräte der Marke Eigenbau, die er entwickelt hat. Diese Geräte waren aus Stahl, hatten kleine Vorderräder, welche ab einer gewissen Geschwindigkeit zu flattern begannen und entsprechend schwer waren. Wir konnten aber durchaus schneller fahren als mit normalen Alltagsrollstühlen...!

Mit der Zeit wichen die Materialien zu Aluminium oder gar Titan und heute ist es schon fast ein Muss, mit Carbon unterwegs zu sein. Die Sitzpositionen haben sich massiv verändert, so dass viel kraftvoller und ergonomischer, mit ausgefeilter Arm- und Antriebstechnik gearbeitet werden kann. Waren wir früher mit einem «Turnverein-Aufwand» oder leicht darüber erfolgreich, trainieren wir heute wie ganz normale Spitzensportler. Ich meine, dass eine erfolgreiche Spitzensportkarriere im paralympischen Bereich einen Profi-Betrieb beinhalten muss.

Was würdest du in deiner Sportlerkarriere mit dem Wissen von heute anders machen, wenn du das Rad der Zeit zurückdrehen könntest?

Wahrscheinlich nicht viel... und ein paar Erkenntnisse der "konservativen Entwicklungs-Schule" würde ich heute als Trainer sogar beachten! Ich würde meine Athleten zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung motivieren. Niemand ausser ich selbst kenne mich und meinen Körper! Ich muss diesen Körper fühlen, beachten und ihm mit Demut begegnen. Mein Kopf könnte diesem Körper wohl immer noch mehr abverlangen - mit einem Rachepotential aber! Dies kann keine aussenstehende Person fühlen. Ausser vielleicht eine Sportmedizin mit Tests, Puls- oder Watt-Messgeräten...!? 

Wie sieht dein Trainingsalltag aus? Kannst du uns ein Beispiel einer typischen Trainingswoche geben?

Am Montag steht meistens eine längere regenerative Ausfahrt von rund 3 Stunden an. Meist als Erholung gedacht wegen dem intensiven Wochenende-Programm...! Am Montagabend treffe ich mich mit der Monday-Night-Pusher-Truppe! Das ist eine lose Trainingsgemeinschaft mit Manuela Schär, Cornel Villiger, Fabian Kieliger, Tobias Lötscher und mir. Wir pushen dann jeweils an der Handkurbel ein Intervall-Programm, das es in sich hat! Entstanden ist diese Truppe, weil das einzige weibliche Element - Manuela - keine kompetitiven Trainingspartnerinnen mehr fand in unserem Land.

Der Dienstag beinhaltet wiederum eine erste lange Ausfahrt von ca. 3 Stunden. 

Der Mittwochmorgen ein Bergtraining in die Jurahöhen, direkt ab meiner Haustür. Am Nachmittag eine lockere Runde von 2 Stunden.

Donnerstag ist Intervalltag und dauert alles in allem auch 3h Stunden.

Freitag 3-4 Stunden Ausdauer im hügeligen Gelände. Will heissen: Ein Aufstieg mit dem Handbike ist eigentlich nie nur "easy".

Samstag und Sonntag gibt's die richtig langen Trainings von zum Teil 4-6 Stunden. Diese dienen der Ausdauer, Kraft und Willensbildung!

15 bis 25 Stunden kommen so wöchentlich zusammen - in Kilometern ausgedrückt: 400-600 km.

 

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst?

Ich denke, es sind keine Geheimnisse, sondern eher Erkenntnisse: Fleiss, Wille, die Einstellung und eine grosse Portion Freude ergeben einen feinen Lohn!

Die Erholung ist natürlich auch zentral, weil ein ermüdeter Körper eher zu Verletzungen neigt. Ein gutes Körpergefühl entwickeln heisst: Ich fühle mitunter, wenn weniger mehr wäre...! Ich fühle aber auch, wenn ich die unabdingbar harten Elemente auch trainieren kann!

Ich benütze kaum Nahrungsergänzung, weil eine reichhaltige, ausgewogene Ernährung - die auch noch Genuss und Freude bereitet - durchaus ausreichend ist.

Mein Material ist zwar gut, aber vielleicht nicht mal explizit Weltklasse: Ich bringe erst mal mich persönlich richtig fit und habe im mentalen Bereich immer noch etwas Luft nach oben, weil ich beim Material ab und zu noch was zulegen kann...!

Ein solidarisches und sportliches Umfeld ist dann sicher sehr hilfreich, motivierend und energiespendend: Ein herzliches Dankeschön speziell an mein Frau Rita!