49 Jahre Hallwilerseelauf - Ein richtiger Seelauf

Andreas Gonseth 23. Oktober 2023

Bei einem Lauf um den See ist eins ganz sicher: Abkürzen ist unmöglich. Gleichzeitig bietet eine Seeumrundung wie beim Hallwilerseelauf ein ganz besonderes Lauferlebnis. Der Traditionsanlass blickt auf eine lange Geschichte zurück.

Als 1975 bei der Premiere 450 Läuferinnen und Läufer rund um den Hallwilersee rannten, gab es noch keinen Ironman, keine Mountainbikes und auch keine Inline-Skates – und der Laufsport steckte noch in den Kinderschuhen. 

Zwar rannten ein paar Unentwegte bereits damals regelmässig durch die Gegend, es existierten einzelne Laufanlässe in der Schweiz – allen voran der Murtenlauf mit seiner Premiere bereits 1933! – und Markus Ryffel realisierte die ersten seiner über lange Jahre bestehenden Schweizer Rekorde, aber der grosse Laufboom stand der Schweiz erst bevor. 

 

Bieridee der Mehrkampfgruppe

Wie viele Läufe in der Schweiz entstand auch der Hallwilerseelauf aus einer Spontan-Initiative beim feuchtfröhlichen Zusammensein. Als 1974 die damalige Mehrkampfgruppe Homberg, zwei Jahre zuvor hauptsächlich von Waffenläufern als Untersektion des Unteroffiziersverein Oberwynen- und Seetal gegründet, ihren 22 km langen Vereinslauf traditionsgemäss an Silvester um den Hallwilersee austrug, kam beim anschliessenden Hock die Idee auf, man könnte doch im nächsten Jahr den Lauf öffentlich ausschreiben. «Wir dachten», so Walter Eichenberger, OK-Präsident der ersten Stunde, «wenn hundert Läufer an den Start gehen, sind wir zufrieden.» Schliesslich konnten bei der Premiere trotz Dauerregen und knöcheltiefem Matsch auf der Strecke auf Anhieb 450 Läuferinnen und Läufer klassiert werden, für damalige Verhältnisse ein Riesenerfolg. 

An die Frauen hatte zu Beginn freilich niemand gedacht, zu dieser Zeit war Laufsport für das weibliche Geschlecht in der Schweiz etwas Exotisches. Bei der ersten Austragung des Hallwilerseelaufs war auch die damals 17-jährige Brigitte Spielmann aus Dulliken dabei, sie gewann bei den Frauen. Das weibliche Geschlecht wurde damals aber noch zusammen mit der Männerkategorie geführt und eine offizielle Siegerehrung für Damen war nicht vorgesehen. Brigitte Spielmann musste sich regelrecht wehren, um als Frauensiegerin wahrgenommen zu werden. Doch schliesslich wurde im Nachgang extra für die Damen noch ein Siegerpreis angefertigt und der jungen Läuferin nach Hause geschickt.

Zweites Herbstferien-Weekend

Der Hallwilerseelauf war geboren und seither wurde am Austragungsdatum vom zweiten Samstag der Herbstferien im Aargau festgehalten. Als der Laufboom in den Achtzigerjahren aus Amerika in die Schweiz schwappte, schossen die Teilnehmerzahlen rasch in die Höhe. Bereits 1978 wurde die Teilnehmerzahl vierstellig, fünf Jahre später wurde erstmals die 2000er-Grenze geknackt, und wiederum vier Jahre später (1987) rannten erstmals über 3000 um den See. 

Nach einer Baisse in den Neunzigerjahren kletterten die Teilnehmerzahlen ab der Jahrtausendwende beim zweiten grossen Laufboom kontinuierlich in die Höhe bis zur Rekordmarke von insgesamt 7876 Finishern im Jahr 2014 (davon 3694 über die Halbmarathon-Distanz). Danach pendelte sich die Teilnehmerzahl zwischen 6000 und 7000 Läuferinnen und Läufer ein, bis durch Corona die Zahlen wie überall zusammenbrachen. Immerhin konnte der Hallwilerseelauf als einer der wenigen Events auch in Pandemiezeiten jeden Lauf durchführen, wenn auch teils unter starken Einschränkungen. Seither steigen die Teilnehmerzahlen zwar langsam, aber kontinuierlich wieder in die Höhe.

So ist der Hallwilerseelauf bis heute eine etablierte und weitherum geschätzte Grösse im Schweizer Laufkalender und dies, obwohl seit den Neunzigerjahren teilweise bis zu 14 andere Laufveranstalter am Hallwilersee-Weekend um Läuferinnen und Läufer buhlen. Bei seiner Premiere stand der Hallwilerseelauf am Austragungstag noch als einziger Event im Laufkalender.

Trinkbecher im Schlossgraben

Gänzlich reibungslos verlief die Entwicklung des Breitensportanlasses nicht immer, zumal die Anstössergemeinden Bewilligungen erteilen müssen und einzelne zu Beginn Bedenken äusserten, dass die Bauern auf den Feldern und Rebbergen von der Läuferschar behindert werden könnten. So fuhr einmal zwischen Aesch und Meisterschwanden ein Traktor mit Silowagen absichtlich unmittelbar vor den Spitzenläufern auf die Strasse und in gemütlichem Tempo Richtung Meisterschwanden. Die Läufer nahmen das unerwartete Spitzen-Fahrzeug aber gelassen, reduzierten das Tempo und nutzten die Verzögerung zur Erholung, bis der Traktor abbog.

In den Anfangszeiten trat Heliomalt als Verpflegungssponsor auf – allerdings nur einmal. Das feine Schokoladegetränk wurde zwar rege getrunken, sorgte aber mit der sportlichen Anstrengung zusammen für etliche Magenprobleme bei den Läuferinnen und Läufern.

Besondere Anforderungen herrschten 1992, als es am Lauftag schneite und bei knappen 2 Grad vor allem die Helfer unter ihren Decken fast erfroren. Und auch mit der Schlossverwaltung gab es einmal Ärger, als ein Verpflegungsposten beim Schloss aufgestellt wurde und die Läufer die Trinkbecher in den Schlossgraben warfen. Die Verantwortlichen merkten das allerdings erst, als sie am nächsten Tag von der Verwaltung aufgefordert wurden, den Graben zu säubern. Mittlerweile ist das Schloss Hallwyl und die Passage durch den idyllischen Schlosshof ein emotionales Highlight sowohl für Läufer wie Zuschauer.

Eine Herausforderung der «tierischen» Art mussten die Verantwortlichen im Jahr 2019 meistern, als nach dem Pfahlbauhaus in Seengen ein Hornissennest neben der Strecke hing und rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Erlebnis- und 10-km-Laufs von Hornissen gestochen wurden. Da man ein Hornissennest natürlich nicht einfach zerstören darf, reagierte das OK sofort und setzte ein Medical-Team samt Arzt an die betreffende Stelle. So konnten die Stiche fachmännisch vor Ort medizinisch behandelt werden.

 

 

Hallwilerseelauf Entwicklung und Zahlen

Die stetig wachsende Beliebtheit bedingte bereits 1983 den Start im Beinwiler Dorfzentrum, wo vom ersten Meter an eine breite Strasse zur Verfügung stand. Schon zwei Jahre später musste auch aus dem Dorfzentrum in zwei Feldern gestartet werden. Zwar wurde der schmale Seeuferweg so erst nach etwa neun Kilometern erreicht. Weil jedoch 2422 Läuferinnen und Läufer die damals noch 22 km hinter sich bringen wollten, kam es wie in den Vorjahren dennoch zu Engpässen und es waren weitere Neuerungen gefragt:

  • 1987: Beim erstmals durchgeführten Joggerlauf über 12 km beteiligen sich rund 250 Läuferinnen und Läufer. 
  • 1991: Premiere des Halbmarathons. Mit einer leicht geänderten Streckenführung werden in Seengen 900 Meter eingespart, wodurch erstmals die mittlerweile etablierte Halbmarathonstrecke über 21,1 Kilometer angeboten werden kann.
  • 1995: Erstmals werden die Ranglisten im Internet publiziert.
  • 1997: Mit der Einführung des «DataChip» mit runden Transpondern durch Datasport macht die Zeitmessung einen Quantensprung.
  • 2001: Die Sportart Walking erobert die Schweiz, entsprechend wird auch beim Hallwilerseelauf eine spezielle Kategorie für Walker eingeführt, die bis heute besteht. Im gleichen Jahr wird der Teamlauf (3er-Teams) eingeführt.
  • 2007: Im Zuge des Walking-Booms wird auch Nordic-Walking immer populärer und kann beim Hallwilersee in einer eigenen Kategorie praktiziert werden.
  • 2009: Mit dem 10-km-Lauf wird eine neue Kategorie eingeführt. Ein Jahr später ist der Frauenanteil in dieser Kategorie bereits grösser als der Männeranteil und legt in den folgenden Jahren stetig zu.
  • 2011: Einführung des Erlebnislaufs über die Halbmarathon-Distanz ohne Zeitmessung und mit Rangierung in alphabetischer Reihenfolge. 
  • 2016: Erstmals können Teams auch zu zweit starten und nicht mehr nur zu dritt.
  • 2018: Erstmalige Passage durch das Schloss Hallwyl mit Live-Musik.
  • 2022: Einsteiger können neu über die Kurzdistanz von 5 Kilometern starten.

Die Streckenrekorde über die Halbmarathondistanz liegen bei 1:02:47 h durch Daniel Kiptun aus Kenia (2010) und 1:13:03 h durch Maryam Yusuf Jamal aus Bahrain (2002). Rekordsieger ist Tadesse Abraham, der die Halbmarathonstrecke fünfmal gewann (2007, 2008, 2014-2016). Bei den Frauen verzeichnete Elisabeth Krieg die meisten Siege (1993, 1996, 1998).

 

 

Kein Selbstläufer

Trotz der idyllischen Strecke rund um den See und der guten Erreichbarkeit aus allen Landesteilen ist der Hallwilerseelauf kein Selbstläufer, dazu ist die nationale Konkurrenz mittlerweile zu zahlreich. 2004 plagten den Lauf gar Existenznöte. Der Gründer und langjährige OK-Präsident Walter Eichenberger musste kürzertreten und die veranstaltende LG Homberg fand lange keinen Nachfolger. 

Schliesslich sprang Roli Müller ein, ein damals aktiver Mountainbiker. Müller hatte zwar keine besondere Affinität zum Laufsport, wusste aber immerhin bereits aus eigener – schmerzhafter – Erfahrung, wie sich ein Halbmarathon anfühlen kann. Rund drei Jahre zuvor meldete er sich kurzfristig und ohne Training für den Hallwilerseelauf an, stand selbstbewusst beim Start neben den schnellen Afrikanern in der vordersten Reihe und ging das Rennen entsprechend viel zu schnell an, sodass er brutal einbrach und vom Schloss Hallwyl bis ins Ziel in Beinwil gefühlt von «mindestens 1000 Läufern überholt wurde». Heftiger Muskelkater plagte Müller noch Wochen nach dem Lauf.

Mittlerweile ist Müller seit 19 Jahren OK-Chef und hat ein motiviertes und engagiertes Team zur Seite. Die Rezeptur, dass der Hallwilerseelauf weiterhin erfolgreich ist, ist für Müller einfach: «Die Natur ist unsere Spezialität. Die vielen Wege direkt am See sind wunderschön und sprechen für sich.» Gleichzeitig weiss er, dass man die Welt nicht neu erfinden kann. «Der Lauf ist der Lauf. Wir haben zwar schon viele Ideen gewälzt wie ein Duathlon Swim & Run oder ein Marathon zusammen mit dem Baldeggersee, aber schlussendlich müssen wir schauen, dass wir die Breite ansprechen und den Event schlank und professionell organisieren können.» 

Für eine Hallwilerseelauf-Spezialität hat sich Müller in den letzten Jahren besonders stark gemacht. Der Lauf wird weitherum nicht nur wegen der Natur und der tadellosen Organisation geschätzt, sondern auch wegen seinen hochwertigen und praktischen Finisherpreisen. 

Dauerläufer seit 49 Jahren

Eine ganz spezielle Beziehung zum Hallwilerseelauf haben zwei Männer. Beat Bucher und Peter Ramseier haben an allen der bislang 49 Austragungen teilgenommen – und jeden einzelnen gefinisht (obwohl Ramseier einer der von den Hornissen gestochenen Läufer war, den Lauf aber fortsetzen konnte). An seine Premiere 1975 erinnert sich Beat Bucher noch ganz genau: « Ich wollte an diesem Datum eigentlich an einem anderen Lauf starten, habe dann aber die Ausschreibung für die Premiere rund um den Hallwilersee gesehen. Da ich ein besonderes Flair habe für Strecken an oder um Gewässer, bin ich natürlich am ersten Hallwilerseelauf mitgerannt.» Der mittlerweile 70-Jährige war früher ein ambitionierter Läufer, trainierte regelmässig 90-100 km die Woche und bestritt auch Marathons. Entsprechend schnell ist Beat Buchers Hallwilerseelauf-Bestzeit mit schnellen 1:12:52 h, «damals aber noch über 22 Kilometer», wie er betont. 

Dem Hallwilerseelauf ist Bucher über all die Jahre treu geblieben, mittlerweile ist für den sportlichen Senior aber der Weg zum Lauf die entscheidende Motivation und sein Ziel lautet, die Strecke ohne Gehpausen rennend zu bewältigen. «Der Hallwilerseelauf beziehungsweise das Training dafür hält mich fit und spornt mich an, auch im Winter dranzubleiben», sagt Beat Bucher, «ich werde so lange am Start stehen, bis es nicht mehr geht». 

Den zweiten Dauerläufer Peter Ramseier kennt Beat Bucher bestens. Zudem verbindet die beiden eine schöne Geschichte. Als Beat Bucher bei der letztjährigen Austragung gegen den Schluss hin auf Peter Ramseier auflief, hatte dieser Probleme und konnte nicht mehr rennen. Beat Bucher stoppte spontan und marschierte die letzten Kilometer zusammen mit Ramseier bis ins Ziel. Auch dieses Jahr erreichten die beiden Unentwegten die Ziellinie und für beide steht schon jetzt fest, dass sie den nächstjährigen Jubiläumslauf auf keinen Fall verpassen wollen.

Schnelle Strecke mit herrlichen Ausblicken

Trotz einigen abrupten Richtungsänderungen: Am Hallwilerseelauf sind schnelle Zeiten fast schon garantiert. Dies vor allem deshalb, weil der Start in Beinwil am See rund 60 Meter höher liegt als das Ziel. Die ersten Kilometer bis Aesch führen denn auch schön leicht bergab. Wer schon aufgewärmt ist, erlebt hier seine ersten Flow-Gefühle. Vertraut man seiner GPS-Uhr, wähnt man sich bereits auf Rekordkurs. Ab der Naturstrasse ausgangs Aesch wird es flach und die Szenerie zunehmend naturnaher. Schon bald erblickt man den Hallwilersee, der den Läuferinnen und Läufern von nun an fast immer zur Seite liegt. Ennet dem See grüsst die Kirchturmspitze von «Böju», wie sich Beinwil im Seetalerdialekt nennt. Im leichten Auf und Ab bewegt man sich fortan dem schmalen Seeuferweg entlang. Auf der Höhe der Seenger Rebberge leuchten die Herbstfarben besonders prächtig.

Dem Aabach entlang gelangt man in den malerischen Park des Schlosses Hallwyl, eine der schönsten und bekanntesten Wasserburgen der Schweiz. Unmittelbar vor dem trutzigen Gemäuer stehen viele Schaulustige Spalier. Die Stimmung steigt, es wird laut. Die Wasserburg wird auf Naturwegen umrundet, ein wunderbarer Panoramaweg. Danach führt der Weg bald wieder dem See entlang. Teilweise stehen die Bäume im Wasser, die Äste hängen bis zur Wasseroberfläche, eine Szenerie wie im Urwald. Die letzten Kilometer gehören zum Schönsten, was der Hallwilersee zu bieten hat. Für viele, die zu schnell gestartet sind, werden sie auch zu harten Kilometern. Mächtige Eichen säumen den Weg. Und schon bald kann man dem Hallwilersee auf Wiedersehen sagen. Kein schlechter Moment, denn jetzt geht es nur noch 300 Meter bis ins Ziel.