Interview mit Adrian Rothenbühler

11. Februar 2020

Normalerweise steht er im Hintergrund, wenn seine Athleten nach Erfolgen streben. Nach dem Grosserfolg von Mujinga Kambundji an den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha erfasste das Scheinwerferflicht aber auch ihn. Adrian Rothenbühler wurde als «Trainer des Jahres» ausgezeichnet.

Was bedeutet für dich diese Auszeichnung? Kannst du uns Einblicke in deine Gedanken und deine Gefühlswelt gewähren?

Es ist eine etwas längere Geschichte: Als ich informiert wurde, dass ich zu den 10 Auserwählten gehöre, musste ich mich zuerst daran gewöhnen, denn damit habe ich definitiv nicht gerechnet. Dann war es mir ein Anliegen, mit den Verantwortlichen zu klären, mit welcher Bezeichnung ich in das Rennen um diesen Titel steigen werde. So einigten wir uns auf die Begriffe Coach / Berater von Mujinga Kambundji und nicht auf Trainer. Als ich schliesslich erfahren habe, dass ich es sicher unter die ersten Drei schaffen würde, begann ich mich mit dem Titel auseinanderzusetzen und mich auf den Abend zu freuen.

Die Auszeichnung ist für mich eine Genugtuung und Anerkennung für das, was ich über die letzten 10 Jahre geleistet habe. Nicht nur mit Mujinga, welche hier quasi als Türöffner diente, sondern mit ganz vielen anderen Athleten. Dafür im Rahmen der Sport Awards geehrt zu werden und es mit meiner Frau zu erleben, war wirklich eine grosse Freude.

Du warst selber Zehnkämpfer und nun seit gut 15 Jahren als Trainer tätig. Wie würdest du deine Trainingsphilosophie beschreiben?

Bei meiner Trainingsphilosophie steht ganz klar der Mensch im Zentrum. Er und sein Umfeld sind für mich von Interesse und nicht nur der Athlet. Aus diesem Grund kann ich nicht alle trainieren, weil es ganz einfach zusammenpassen muss. Diese enge Beziehung bringt in meinem Fall Erfolg auf der einen Seite und den Nachteil des sich nicht abgrenzen können auf der anderen Seite.

In den trainingsspezifischen Fragen habe ich die klassische Entwicklung durchgemacht: Zuerst dachte ich, man müsse möglichst viel und hart trainieren. Heute weiss ich, dass dem nicht so ist, und man vielmehr der Physiologie Folge leisten muss. Ich überlege also stets, welche physiologische Anpassung ich auslösen will und setze dann den entsprechenden Trainingsreiz und beachte insbesondere die nötige Erholungszeit. Letzteres gewichte ich besonders hoch, weil man immer wie mehr weiss, wie das Nervensystem funktioniert und die Erholung entsprechend wichtig ist.

 

Du betreust Sportlerinnen und Sportler aus verschiedenen Sportarten im Kraftbereich. Welches sind in deinen Augen sportartübergreifend die drei wichtigsten Schlüssel, die zum Erfolg führen?

  1. Die Kraft ist stets im Dienste der jeweiligen Sportart. Ich muss mir überlegen, welche Zulieferer im Bereich der Kraft nötig sind und diese dann entsprechend trainieren, damit ich schneller laufen, weiter werfen oder höher springen kann.
  2. Krafttraining ist immer mit langfristigen Entwicklungen verbunden. Ich muss mir also überlegen, was ich zu welchem Zeitpunkt auslösen will und auf dem Weg zum Ziel machen muss, damit ich eben dieses erreichen kann.
  3. Man muss die Sportart begreifen, damit man weiss, was es braucht. Ich muss mir unter anderem überlegen, in welchen Winkeln und wie lange eine Kraft produziert werden muss und das Training dann entsprechend gestalten.

Die Kraft ist im Sport ganz grundsätzlich ein wichtiger Erfolgsfaktor. Was sollten Ausdauersportler beherzigen?

Zuallerst gilt es einen Mythos zu klären: Kraftausdauer wird in der Zielsportart selber trainiert. Der Läufer absolviert beispielsweise Hügelläufe, der Radfahrer fährt den Berg hoch. Dann gibt es zwei trainierbare Aspekte: Die Muskelleistung (Maximalkraft) und die Absicherung gegenüber auftretenden Kräften (Prävention).

Mit der Maximalkraft erhöhe ich das Potential. Ich kann demnach eine höhere Muskelleistung generieren. Und mit der Prävention schütze ich den Körper im Ausdauersport vor den auftretenden Repetitionen.

Grundsätzlich kann man sagen:

  • Bei Hobbysportlern steht der Aspekt Prävention im Vordergrund, während Leistungssportler sich um das Ausreizen des Potentials Gedanken machen müssen.
  • Je höher der Anspruch – unabhängig vom Leistungsniveau – desto mehr liegt der Fokus auf dem Ausreizen des Potentials 
  • Je kürzer die Distanz, desto entscheidender ist die Muskelleistung.
  • Je länger die Distanz, desto mehr muss ich meinen Körper schützen.

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst? 

Es gibt - so glaube ich – heutzutage keine grossen Trainingsgeheimnisse mehr. Man kann die einzelnen Reize vielleicht noch neu strukturieren und ans Individuum anpassen. Doch dann hat es sich. Was in meinen Augen aber ein «Geheimtipp» ist, sind geschickte Kombinationen auf der einen und klare Trennungen auf der anderen Seite: Es gilt Trainingsreize so zu planen, dass sie sich unterstützen, es Raum für Anpassung gibt und sie sich voll und ganz entfalten können.

Dies ist übrigens das, was in meiner ganzen Arbeit als Trainer die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Ich überlege mir ganz genau, wann ich was mache, damit einerseits die verschiedenen Reize Platz haben und anderseits die Anpassungen stattfinden können.

Foto: ZVG