Interview mit Jan Fitschen

21. Juni 2016

Der Deutsche erlebte seinen Karrierehöhepunkt im Rahmen der Europameisterschaften 2006 in Göteborg. Mit einem eindrücklichen Endspurt holte der ehemalige Mittelstreckenläufer überraschend Gold über 10’000m. Nach weiteren Jahren auf der Bahn wechselte der Physiker 2011 auf die Strasse. Neben verschiedenen Siegen bei Strassenläufen stechen seine 2:13:10 vom Berlin Marathon 2012 heraus.  

Vor einem halben Jahr hast du deine Karriere beendet. Was würdest du anders machen, wenn du das Rad der Zeit zurückdrehen könntest?

Nicht viel. Ich habe mehr erreicht, als ich zu hoffen gewagt hatte und konnte mich auf allen Strecken von 800m bis zum Marathon austoben. Auch die Dinge, die nicht perfekt liefen, hatten daran ihren Anteil. Ich hatte sportliche Erfolge, war in spannenden Trainingslagern und habe super Menschen getroffen. Eine wunderbare Zeit. Solange man in der Situation des Leistungssports ist, wünscht man sich manchmal mehr Freizeit, mehr Party und noch mehr Erfolge. Aber ich hatte - denke ich - von allem genau die richtige Menge. 

Im letzten Abschnitt deiner Karriere warst du häufig verletzt. Aus den schlechten Phasen des Lebens lernt man bekanntlich am meisten. Was hast du für dich aus diesen Tiefs mitgenommen? Welche Tipps ergeben sich daraus für den Läufer?

Ich hatte immer wieder mit Verletzungen und Krankheiten zu tun, die mich zurückgeworfen haben. Schon 2002 habe ich die EM in München verpasst, weil ich mir 2 Tage vor dem Finale den Magen verdorben hatte. Da habe ich dann auf der Tribühne gesessen und geheult. Doch es ging weiter, und später habe ich mir oft gedacht, dass ich 2006 nicht so gut gewesen wäre, wenn ich schon in München mit einem vielleicht 5. Platz auf mich aufmerksam gemacht hätte. 

Oft habe ich mich gewundert, wie gut man mit Alternativtraining seine Form halten kann. Ausserdem helfen Verletzungen, dich nicht ausschliesslich auf den Sport zu konzentrieren. Ich denke eine gewisse Vielseitigkeit ist enorm wichtig. Verletzungen sind grausam für jeden Sportler. Aquajogging wird nie mein Lieblingssport. Und trotzdem: Wenn du von deiner Verletzung zurückkommst und das erste mal wieder schmerzfrei rennst, dann weisst du, wie schön das Leben ist, und was für ein Privileg es ist, Sport treiben zu können. 

Viele Trainingskilometer hast du in der Vorbereitung auf deine grossen Ziele in Kenia zurückgelegt. Welche drei Punkte haben dich im Land der Läufer am meisten inspiriert?

Es waren tatsächlich enorm viele Kilometer auf den Staubpisten, und ich habe sie nicht immer genossen. Kenia klingt ja doch nach Urlaub und Safari. Das war es für mich nie. Im Herbst des letzten Jahres ist mein erstes Buch "Wunderläuferland Kenia" erschienen, in dem es genau darum geht: Was macht die Kenianer so schnell, und was können wir uns auch als Freizeitläufer davon abschauen? In 42,195 lustigen, spanneden Kurzgeschichten berichte ich beispielsweise darüber, warum die extrem bescheidene Lebensweise der Kenianer, ihre unbändige Motivation und gleichzeitig ihre extreme Lockerheit sie so erfolgreich machen. Als kleines Beispiel habe ich tatsächlich mit einem Läufer in seiner Strohhütte gesessen und mit ihm über seine Zukunft gesprochen. Mit absoluter Selbstverständlichkeit erzählte er mir, er würde in 3 Jahren 1.500m-Weltrekord laufen. Ok... Er könne zwar bisher "nur" 3:55 auf dieser Distanz vorweisen, aber der Kerl, der da jeden Morgen an seiner Hütte vorbeirennt, der wäre auch schon bei 3:29 und den hätte er bald im Griff... Viele Bilder und einige eingebundene Filme machen "Wunderläuferland Kenia" sehr anschaulich und unterhaltsam. 

Nach deiner Bahnkarriere hast du dich auch noch an die Marathondistanz gewagt. Welches sind in deinen Augen die wichtigsten Trainings- und Wettkampftipps für einen erfolgreichen Marathon?

Noch viel wichtiger als bei allen anderen Laufstrecken ist beim Marathon die Regeneration. Das wird gerne übersehen. Wer neben seinem Job und den Aufgaben in der Familie einen Marathon laufen möchte, der hat eine enorme Herausforderung zu bewältigen. Da sollte man nach seinem langen Dauerlauf auch den Mittagsschlaf fest einplanen. Ansonsten hängt es davon ab, was man sich als Ziel steckt. Finishen oder sogar Bestzeit? Eventuell sollte man nämlich auch als Freizeitläufer Intervalle trainieren. Nur Dauerläufe, wie es oft gemacht wird, sind auch für einen Marathon nicht perfekt. Desweiteren: Unbedingt das Trinken und Essen schon im Training üben. Immer wieder verschenken die Läufer hier Potential.

Foto: ZVG