Interview mit Noemi Rüegg
Foto: IMAGO
Vor einem Monat belegte Noemi Rüegg beim olympischen Strassenrennen in Paris den ausgezeichneten 7. Rang. Die 23-jährige Zürcher Unterländerin und amtierende Schweizermeisterin krönte damit eine bereits erfolgreiche Saison.
Eine starke Leistung wurde in Paris mit einem Diplomplatz belohnt. Kannst du uns einen Einblick in deine Erlebnisse und Gefühle geben?
Ich denke so gerne an die Zeit in Paris zurück, es war einfach alles in allem eine ganz spezielle und spannende Zeit. Während des Rennens, aber auch davor und danach.
Das Rennen lief für mich optimal, ich war in dieser Spitzengruppe und konnte alles aus mir herausholen. Die Stimmung während des Rennens war genial, so etwas habe ich noch nie erlebt. Das Publikum war so laut, dass man sich selbst gar nicht mehr richtig gespürt hat. Mit dem 7. Platz am Ende bin ich sehr zufrieden, natürlich kann man, wenn man plötzlich so nah an den Medaillen dran ist, auch ein bisschen der Chance nachtrauern, aber für mich war die Olympiateilnahme schon ein grosser Traum und deshalb bin ich wirklich zufrieden mit dem Rennen.
Was waren rückblickend die Schlüssel zu diesem erfolgreichen Rennen?
Ich denke, dass ich einerseits physisch sehr gut in Form war und mir der Kurs mit den kurzen, aber harten Anstiegen sehr gut entgegenkam. Andererseits war ich aber auch mental völlig bereit für dieses Rennen. Ich habe versucht, mich nur auf das "Hier und Jetzt" zu konzentrieren, auf das, was ich gerade tue, und nicht schon zu früh an das Ziel oder das Ergebnis zu denken. Ich habe mich auf die kleinen "Jobs" während des Rennens konzentriert, wie z.B in der Anfangsphase genug zu essen und zu trinken, eine gute Position im Feld einzunehmen, mit meinen Teamkolleginnen zu fahren und dann Anstieg für Anstieg voll hochzufahren und egal, wenn es mich dann "parkiert", habe ich es wenigstens zu 100 Prozent versucht und kann mir nichts vorwerfen. Und mit dieser Taktik bin ich ziemlich weit gekommen...
Ich bin mit voller Freude und mit einer gewissen Lockerheit gefahren. Es gab nie einen Moment der Panik oder der Unsicherheit. Ich wusste, dass ich mich auf meinen Instinkt verlassen konnte und niemandem etwas beweisen musste. Ich war in der Rolle des "Underdogs" und das hat irgendwie den Druck von mir genommen und ich dachte einfach "wow, wie cool, dass ich dieses Rennen fahren und diese Atmosphäre erleben darf".
Seit diesem Jahr fährst du bei EF-Oatly-Cannondale in einem neuen Team. Kannst du uns die Organisation und deine Rolle näher beschreiben?
Ich bin eine von 16 Fahrerinnen in meinem Team. EF-Oatly-Cannondale hat eine amerikanische Lizenz, aber der Service Course, also die "Teambase", ist in Girona. Dort machen wir auch die meisten Trainingslager. Meistens im November und Januar haben wir ein gemeinsames Trainingscamp. Dort geht es darum, als Team zusammenzuwachsen, uns besser kennenzulernen und unsere Werte aufzubauen. Respekt und Vertrauen sind bei uns sehr wichtig, dafür machen wir auch viele Teambuildingübungen, damit wir bei den Rennen schon ein eingespieltes Team sind. Auch Bikefitting und Aerotests, Schuhsohlenfitting und all diese technischen Dinge werden in diesen Trainingslagern gemacht. Ab Februar gibt es finden dann keine grossen Camps mehr, dann geht es zu den Rennen und wir treffen uns dann jeweils ein bis ein paar Tage vor dem Rennen. Jeder wohnt zu Hause und reist nur zu den Rennen an.
Wir haben ein Team mit verschiedenen Fahrertypen, einige Sprinterinnen, Allrounderinnen und Bergfahrerinnen. Ich gehöre zu den Allrounderinnen. Bei den Klassikern übernehme ich auch mal die Leaderrolle, bei anderen Rennen bin ich Helferin, wenn es zum Beispiel darum geht, unsere Bergfahrerinnen in Position zu bringen.
Die Renntaktik gibt unser DS (Directeur Sportive) vor, aber immer in Absprache mit uns Fahrerinnen. Das hängt vom Streckenprofil, der Verfassung und den Zielen der Fahrerinnen ab.
Meine Trainerin ist aus dem Team, sie ist die Performance Managerin und hat den Überblick über alle Trainings- und Leistungswerte der Fahrerinnen.
Du hast in diesem Jahr wieder grosse Fortschritte gemacht. Wenn du einen Blick auf dein Training wirfst: Welche 2-3 Trainingsformen dürfen in keinem Trainingsplan der Hobbyfahrer:innen fehlen?
Ich bin ein Fan von vielen Trainingsstunden, aber ich musste auch lernen, dass viel nicht immer besser ist. Aber ich glaube, dass eine gute Grundlagenausdauer sehr wichtig ist, sonst hat man kein Fundament, auf der man aufbauen kann. Ich persönlich spreche gut auf vo2max-Intervalle an, also eher kurze, aber sehr hohe Intensitäten.
Ich gehe auch oft in den Kraftraum, vor allem im Winter ist das ein guter Ausgleich, trägt zu einer guten Explosivität bei und kann Verletzungen vorbeugen.
Gibt es einen Geheimtipp, den du uns verraten kannst?
Ich glaube nicht, dass es nur einen richtigen Weg gibt. Für mich sind Balance und Konstanz der Schlüssel.
Man sollte allen Bereichen eine gewisse Beachtung schenken, aber auch nicht übertreiben. Ich habe für mich gemerkt, dass vor allem der Kopf entscheidend ist. Wenn ich glücklich bin und mit Freude Rad fahren kann, dann fahre ich automatisch viel besser und die Resultate kommen fast automatisch.
Man muss sich selbst nicht neu erfinden, einfach Freude am Velofahren haben, genügend Kohlenhydrate essen, viel schlafen und regelmässig Dinge tun, bei denen man mental vom Sport abschalten kann. Das sind meine Basics ;)
Wir danken Noemi Rüegg für die spannenden Antworten.
Mehr Infos zu Noemi Rüegg gibt es hier.
Das könnte dich auch interessieren