Interview mit Tobias Baggenstos

23. Juni 2021

Foto: alphafoto.com

Tobias Baggenstos holte im Rahmen des SWISS CANYON TRAIL am 5. Juni den Schweizer Meistertitel im Trailrunning. Das Spezielle daran: Der Gersauer wurde nach etwas mehr als 30 Kilometern falsch geleitet und absolvierte ohne eigenes Verschulden nicht die komplette Strecke. Weil alle Läufer auf den ersten fünf Plätzen einverstanden waren, wurde die Reihenfolge zum Zeitpunkt der Fehlleitung für das SM-Podest berücksichtigt.

Wie hast du «deinen» Tag im Val de Travers erlebt? Kannst du uns Einblick in dein Rennen und deine Gefühlswelt geben?

Da ich auf solch längeren Distanzen noch ziemlich unerfahren bin, wollte ich möglichst entspannt an den Start gehen. Im Vorfeld wurde mir von allen Seiten her geraten, nicht zu schnell zu starten. Dieses Vorhaben wurde allerdings schnell über den Haufen geworfen, da einige französische Athleten die relativ flachen ersten Kilometer ziemlich zügig anliefen. Aber das kam mir vom Gelände her entgegen und daher lief ich einfach mal mit und war dann umso überraschter, als ich mich im längsten Anstieg des Tages zusammen mit Pascal Egli absetzten konnte. 

Wir liefen dann lange gemeinsam an der Spitze und ich fühlte mich ziemlich gut und konnte auch etwas Kräfte sparen für den zweiten Teil. Nach gut 31 Kilometern wurden wir dann fehlgeleitet. Wir merkten, wie plötzlich die Markierungen fehlten, kamen dann aber irgendwann wieder auf die Strecke. Diesen Zwischenfall hatte ich dann fast vergessen, bis wir viel zu früh wieder zum Ziel kamen. Eigentlich war ich auf sieben weitere Kilometer eingestellt, aber dann standen wir plötzlich wieder ins Stadion. Wir wussten, dass etwas nicht stimmen konnte und waren etwas ratlos. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung, aber die Fehlleitung ist natürlich sehr schade für das ganze Rennen. An dieser Stelle auch vielen Dank an alle anderen Athleten für das Fairplay.

Du warst während rund 4 Stunden unterwegs. Kannst du uns Einblick in deinen Trainingsalltag geben?

Ich mag eigentlich jeden Aspekt des Laufens und trainiere dadurch ziemlich vielseitig. Es macht mir sowohl Spass drei Stunden durch die Berge zu rennen als auch schnelle Intervalle auf der Strasse zu absolvieren. Bis vor einem Jahr bin ich auch regelmässig Rad gefahren oder habe Skitouren unternommen. Das hat mir sicher eine gute Grundlage geben. Mittlerweile trainiere ich aber vorwiegend läuferisch und komme meist auf 100 - 130 km in der Woche, oft auch mit vielen Höhenmetern.

Eigentlich laufe ich ausser für qualitative Einheiten auf der Strasse nie wirklich flach, meine Strecken für das Grundlagentraining gehen meistens irgendwann mal rauf und runter. Ich kann jedem nur empfehlen, möglichst unterschiedliches Terrain ins Training einzubauen und auch mit verschiedenen Intervallformen zu spielen. Bergmarathons faszinieren mich, aber genauso gerne versuche ich mich über 10 km auf der Strasse zu verbessern. Diese Mischung hat für mich bis jetzt gut funktioniert und hilft bei hohen Wochenumfängen auch gegen Langeweile.

 

Im vergangenen Herbst bist du positiv auf Covid-19 getestet worden und musstest 5 ½ Wochen auf Bewegung verzichten. Kannst du uns mehr darüber erzählen? 

Wo genau ich mich angesteckt habe, weiss ich nicht. Vielleicht war es auf der Arbeit. Es fing mit normalen Erkältungssymptomen an und breitete sich dann auf die Lunge aus. Ich hatte dauerhaft ein Druckgefühl oder Stechen im Brustbereich. Eigentlich fühlte ich mich nicht todkrank, aber ich war sehr antriebs- und kraftlos. Die Zeit in der Quarantäne war nicht immer einfach, weil mein Körper sich stark an Bewegung gewöhnt ist. Es liefen gerade die Vuelta und der Giro im TV, und es war komisch zu sehen, wie Athleten topfit Höchstleistungen erbringen, während man selber kaum eine Treppe hochkommt, ohne dass die Lunge brennt. 

Mir war von Anfang an klar, dass die Genesung Zeit brauchen würde und ich geduldig auskurieren möchte. Deshalb habe ich lieber ein paar Tage zu viel auf Training verzichtet als zu wenig, und das hat sich auch absolut gelohnt. Die ersten Läufe waren nur sehr kurz und die Lunge brannte noch. Doch nach und nach ging es besser und ab Weihnachten fühlte ich mich wieder normal. Was folgte, war danach einer meiner besten Trainingsblöcke, den ich je hatte.

Nach der langen Pause bist du umso stärker zurückgekehrt. Welches sind für dich die wichtigsten Schlüssel zum Erfolg?

Die Pause hat mich vor allem gelernt, dass Geduld sich auszahlt. Ich neige teilweise etwas zum Exzess. Das kann bei langen Wettkämpfen sicher ein Vorteil sein. Aber ich habe auch lernen müssen, dass man lieber langfristig konstant trainiert als kurzfristig zu extrem. Man soll sich im Training zwar fordern, aber eben so, dass man sich auf absehbare Zeit wieder erholt. So kann man Tag für Tag und Woche für Woche langsam immer besser werden, und das bringt einen weiter als irgendwelche verrückten Dinge auszuprobieren. Leider musste ich das selber auch erst einmal lernen.

Bisher war ich immer mein eigener Trainer und versuche darum so gut es geht auf meinen Körper zu hören. Langsam weiss ich, was meinem Körper guttut und was mich weiterbringt. Einen fixen Trainingsplan habe ich bewusst nicht. In meinem Kopf weiss ich immer, was ich ungefähr machen möchte, schiebe die Einheiten aber je nach Befinden auch noch beim Einlaufen auf einen anderen Tag.

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst?

Einen Geheimtipp kenne ich leider auch nicht. Mir läuft es im Sport am besten, wenn ich eine gewisse Lockerheit in mir habe und mich nicht zu stark versteife. Ich schalte am besten ab, wenn ich mit Kollegen etwas unternehme oder mal ein Bier trinken gehe. Einfach so, dass sich nicht immer alles ums Laufen dreht.