Von 100 kg zu 100 km - Wie ein Schwergewicht zum Langstreckenläufer mutierte
Er rauchte, trank nicht nur Wasser und belastete die Waage zuweilen mit mehr als 100 Kilo. Dann stellte der Bündner Peter Basig sein Leben um. Heute zählt der bald 40-Jährige zu den engagiertesten Hobby-Läufern hierzulande.
Eine Bestzeit wird er nicht aufstellen beim Swiss City Marathon, nein, Peter Basig wird den Halbmarathon in Luzern in exakt zwei Stunden absolvieren. Der Bündner ist Pacemaker in der Leuchtenstadt, ausgerüstet mit der von weit her sichtbaren 2-h-Fahne und dafür besorgt, dass jene Läufer(innen), die sich ihm anschliessen, den Halbmarathon in der gewünschten Zielzeit schaffen, an seiner Seite also in 1:59:59 Stunden oder noch etwas schneller. «Ich werde mich in den Dienst der anderen stellen», sagt er. So, wie er es öfters tut bei Läufen in der Schweiz: Ruhig und gleichmässig traben, Zwischenzeiten kommunizieren, auf Besonderheiten der kommenden Streckenabschnitte hinweisen, die Mitläufer motivieren, Freude verbreiten.
Gänzlich selbstlos wird Peter Basig in Luzern aber nicht unterwegs sein. Der Halbmarathon ist für ihn auch ein Trainingslauf für den New York City Marathon am 5. November, einen der sechs berühmten Städtemarathons, einen der prestigeträchtigen Six-Major-Events. Die «Big Six» stehen weit oben aufs Basigs «Bucket List». In Berlin, London und Chicago ist er schon gelaufen. Boston hat er im Frühling 2024 geplant, Tokio 2025.
Alkohol und Zigaretten
Dass er dereinst zum passionierten Marathonläufer werden würde, konnte er sich selbst allerdings lange nicht vorstellen. Bis zu seinem 30. Geburtstag hatte er mit Dauerläufen nichts am Hut, da waren Carboloading, anaerobe Schwellen und Superkompensation für ihn noch Fremdwörter. Beim Stichwort «Longjog» dachte er an einen langen Witz, bei «Laktat» an ein mögliches Glücksgefühl – und für den Muskelkater machte er Katzen verantwortlich.
«Laufen war tatsächlich kein Thema», sagt der Bündner lachend. In Zizers, seinem Wohnort, spielt er zwar engagiert Volleyball. Genussmitteln ist er aber nicht abgeneigt. Zigaretten halten ihn bei der Stange. An geselligen Abenden trinkt er gern ein Gläschen mit, da und dort auch zwei. Und er isst gern, mit Vorliebe Pizza, Burger, Pasta.
Irgendwann steht er auf die Waage und erschrickt. «Da standen drei Zahlen vor dem Komma.» Mehr als 100 Kilo? So kann es nicht weitergehen, findet er. Und eines Tages, noch vor dem 30. Geburtstag, fasst er den Beschluss, ein paar Dinge in seinem Leben umzukrempeln. Konkret: mehr Bewegung, weniger Alkohol, weniger Zigaretten. Der Teer soll fortan unter den Füssen liegen, nicht auf der Lunge.
Alsbald schnürt Basig regelmässig die Laufschuhe. Und ernährt sich bewusster. Der Erfolg wird schnell ersichtlich: Die Kilos purzeln, das Fett schwindet. Vor allem aber bekommt er Freude am Laufen, Freude an der Bewegung an der frischen Luft, Freude an den Fortschritten. Im Herbst 2015 bestreitet er in Sarnen seinen ersten Halbmarathon. Und kommt auf den Geschmack. Drei Jahre später wagt er sich in Luzern an seinen ersten Marathon, nach 3:52 Stunden ist er im Ziel. Geschafft, im doppelten Sinn.
Hunderter als Highlight
Seither kann sich Peter Basig «ein Leben ohne Laufen nicht mehr vorstellen», wie er sagt. Der einst schwerdampfende Brummer ist zu einem scheinbar unermüdlichen Langstreckenläufer avanciert. Fast jedes zweite Wochenende bestreitet er irgendwo einen Lauf. Hier einen kurzen, da einen langen. Hier durch die Stadt, dort über die Berge. Er ist in Kerzers, Schlieren und Beinwil am See gestartet – und in Barcelona, Wien und Dublin angekommen. In den letzten drei Jahren hat er – Achtung – fünf Ultramarathons, 16 Marathons und 29 Halbmarathons bewältigt. In Madrid und London lief er die 42,195 km zweimal innert einer Woche. Als Vergleich: Spitzenläufer wie Eliud Kipchoge und Tadesse Abraham bestreiten in der Regel zwei Marathons pro Jahr.
Seine bislang grösste Herausforderung nahm Basig im Juni dieses Jahres in Angriff: Den 100-km-Lauf in Biel. «Davor hatte ich echt Respekt», sagt er rückblickend. «Die grosse Distanz, die lange Nacht, die Temperatur-Unterschiede.» Basig blieb cool, lief beständig wie eine Schweizer Uhr und kam nach 12:39 Stunden relativ locker ins Ziel. «Schlimm wurde es erst danach. Da war plötzlich eine grosse Leere.»
Gefüllt hat er diese «Leere» mit deftigen Bergläufen: mit dem Gornergrat-Ultra-Marathon in Zermatt (45,6 km/2458 hm), dem Eiger Ultra Trail (35 km/2500 hm), den Davos X-Trails (42,7 km/1424 hm) und dem Jungfrau-Marathon (42,2 km/1953 hm). Als ob es selbstverständlich wäre. Die Trailruns sind seine zweite Leidenschaft, auch wegen ihrer landschaftlich meist wunderbaren Strecken. Basig nennt sie «traumhaft schön». Mittlerweile ist er so fit, dass er sie «richtig geniessen» kann. Mit Bergziegen hat er aber wenig gemein, eher mit Bären. Mit seinen fast 80 Kilo gilt er in der feingliedrigen Berglauf-Gilde noch immer als Schwergewicht.
Wie ein Halbprofi
Gleichwohl ist er ständig in Bewegung, laufend unterwegs. Pro Woche legt der Bündner zwischen 80 und 100 Kilometer zurück. An Werktagen absolviert er kürzere Einheiten, ein Intervalltraining inklusive. Dazu macht er, der Bär, zwei- bis dreimal Krafttraining. Am Wochenende unternimmt er Longjogs – oder eben Wettkämpfe. Basigs Basics. Er ist gut gefahren mit seinem Programm. «Ich war in den letzten zehn Jahren kein einziges Mal ernsthaft verletzt.»
Über seine Läufe führt er detailliert Buch: Wann hat er wo wieviel trainiert, an welchen Events hat er teilgenommen, wie war die Stimmung – alles listet der diplomierte Logistikfachmann fein säuberlich auf. Ein zeitintensives Hobby, «fast schon ein 50%-Pensum», wie er lächelnd bemerkt. Seiner Leidenschaft ordnet er vieles unter. Weil er merkt, wie gut ihm das Laufen tut, und wie leicht dadurch vieles andere im Leben geworden ist.
Wenn er ein Problem hat, geht er laufen. «Und meistens kommt mir dann eine Lösung dafür in den Sinn.» Ganz einfach, kostenlos. «Beim Laufen», hat er festgestellt, «habe ich oft die besten Ideen». Vor allem aber habe er durch das Laufen «neues Leben erfahren», wie er sagt, viele neue Regionen, Berge und Städte kennengelernt, viele neue Kollegen gewonnen.
Auf jeden Fall will er weiterlaufen, weiterhin Läufe bestreiten, auch im Winter. Den legendären Frauenfelder hat er sich in der Agenda bereits dick angestrichen, beim Silvesterlauf in Zürich hat er sich als Pacemaker zur Verfügung gestellt, der Neujahrsmarathon reizt ihn. «Es gibt so viele schöne und reizvolle Läufe», sagt er, «manchmal gar mehrere am selben Tag». So hat er, der Allrounder, oft die Qual der Wahl.
Seine Ferien verknüpft er meist mit einem Wettkampf vor Ort. So war er jüngst in Kopenhagen, in Valencia und in München. «Laufendes Sightseeing», nennt er das. «Die meisten Veranstalter versuchen, die touristischen Highlights der Stadt auf der Strecke zu integrieren – jedes Mal ein ganz besonderes Erlebnis.»
In Luzern führt die Strecke da entlang, wo auch Inder und Chinesen gerne Selfies machen. Pacemaker Basig kennt den Kurs. Hier hat er seinen ersten Marathon bestritten – und eine seiner letzten Zigaretten geraucht. Seine Gefolgschaft wird es ihm danken, vor allem die weibliche. Frauen laufen gern an seiner Seite, wie sie ihm schon direkt offenbart haben. Ihre Begründung: «Du siehst nicht so aus, als wärst du zu schnell für uns.»
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