Wie viel Schmerz darf sein?

28. April 2020

Trainieren unter Schmerzen gehört für zahlreiche Sportler dazu. Was ist Schmerz, wie kann und soll ihn ein Sportler einschätzen?

 

Ausdauersportler kennen ihn, den Schmerz, wenn bei einem Intervalltraining der Puls im Maximalbereich rast und das Laktat den ganzen Körper flutet. Ambitionierte Athleten brauchen Durchhaltevermögen, um erfolgreich zu sein. Leiden im Sport ist gewinnbringend und der Form zuträglich.

In einem Sportlerleben gibt es aber auch den Schmerz, der nichts mit dem inneren Schweinehund zu tun hat. «Schmerz ist wichtig und etwas ganz Normales», sagt Michael Wawroschek, Arzt und medizinischer Leiter von med-athletics in Zürich. «Nur dadurch haben wir überhaupt die Chance, unseren Körper wahrzunehmen und besser kennenzulernen.» Entscheidend dafür sei, dass der Sportler den Schmerz nicht einfach ignoriere, sondern sich konkret mit ihm auseinandersetze und Fragen stelle: «Wo genau befindet sich der Schmerz? Verändert er sich? Wird er stärker, nimmt er ab?»

Schmerz als Warnzeichen

Damit der menschliche Körper einen Reiz einordnen kann, erkennen spezialisierte Rezeptoren schmerzhafte Signale und leiten die Information weiter zum Rückenmark, wo sie verarbeitet und ins Gehirn gesendet werden. Bei Schutzreflexen wie dem Zurückziehen der Hand bei einer heissen Herdplatte reagiert der Körper automatisch und ohne bewusstes Einordnen des Schmerzes. Erst im Gehirn angelangt wird der Schmerz bewusst wahrgenommen, bewertet und für Lernprozesse verarbeitet. Bei ambitionierten Sportlern ist die Schmerztoleranz meist höher als bei Nichtsportlern. Und gleichzeitig gilt: Schmerzen sind ein Warnzeichen dafür, dass etwas nicht im Gleichgewicht ist. Ohne Schmerzen würden wir unseren Körper dauernd überlasten.

Die richtige Einordnung ist individuell. Sportarzt Wawroschek findet, dass Menschen im Umgang mit Sport und Schmerz allgemein zu ängstlich reagieren. «Viele vermeiden Sport, sobald etwas schmerzt. Das ist aber häufig ein Fehler, denn die meisten Menschen haben Schmerzen vom Nicht-Bewegen. Es ist daher eher umgekehrt: Sport und Bewegung können Beschwerden häufig beseitigen.»

Sport ist also auch ein Schmerzkiller. Dennoch ist der Umgang mit Schmerz im Sport nicht ganz einfach. Manche Sportler suchen ihn, beispielsweise beim Muskelaufbau: Ohne Schmerzen passiert da wenig, denn erst eine Belastung, die gefühlsmässig schmerzt, führt dazu, dass der Muskel wächst. «Diesen Schmerz darf und sollte man bewusst erleiden», sagt Michael Wawroschek, «da muss man einfach durch».

Gefährlich ist der scharfe Schmerz

Doch wie weiss ein Sportler, wie viel Schmerz sein darf und wann es gefährlich wird? Wawroschek unterscheidet drei Arten von Schmerzlokalitäten: «Muskelschmerz, Sehnenschmerz und Gelenkschmerz.» Bei der Interpretation von Muskelschmerzen lägen meist alle falsch: Patient, Arzt, Trainer. «Muskelschmerzen werden in ihrem Ausmass oft unterschätzt und falsch diagnostiziert.» Deshalb gelte: «Jeder Sportler sollte Muskelschmerzen ernst nehmen und sie von einem Arzt abklären lassen.» Ausser es handle sich um harmlosen Muskelkater. Besonders gefährlich sei jeder scharfe Schmerz. Wawroschek: «Ein Muskelfaserriss fühlt sich wie ein Messerstich an, in diesem Fall muss man sofort mit dem Sport aufhören.» Meistens macht das der Körper automatisch, in einem Wettkampf aber kann es auch sein, dass dieser Reflex vom Adrenalin zugeschüttet ist und ausbleibt.

 

Ein gutes Zeichen ist es, wenn sich ein Schmerz zum Guten hin verändert. Werden die Beschwerden im Laufe des Trainings geringer, kann man getrost weitermachen. Umgekehrt aber gilt: Kommt ein Schmerz während des Sports zurück oder wird er immer stärker, sollte die Belastung gestoppt werden.

Achtung vor Medikamenten

Viele Beschwerden im Ausdauersport sind typische Überlastungsbeschwerden. Solche Entzündungsschmerzen schaden – wenn sie lokal auftreten wie etwa bei einem Läufer-Knie oder einer Knochenhautentzündung –, dem Körper nicht generell. Und grundsätzlich ist jede Heilung mit einer Entzündung verbunden. Die Schwierigkeit bei Entzündungen besteht darin, das passende Mass zwischen Belastung und Entlastung zu finden. Hilfreich ist es, temporär auf andere Sportarten umzusteigen, um die entzündliche Stelle nicht weiter zu reizen. Wenn der Schmerz dennoch immer grösser wird, sollte man zum Arzt. Wenn der Schmerz nach einem sportlichen Training am nächsten Tag wieder weg ist, dann kann man dosiert auch weiter trainieren.

Ob und wann eine Entzündung mit Medikamenten behandelt werden muss, sollte nur in Absprache mit einem Arzt und mit einem Plan entschieden werden. Beim Sporttreiben allgemein sollten Medikamente aber möglichst wenig eingesetzt werden. «Mit Schmerzen in einen Wettkampf zu gehen, ist nie eine gute Idee», findet Michael Wawroschek. Und wer langfristig nur noch mit Schmerzmitteln trainieren könne, riskiere Schädigungen in Magen und Darm.

Eine Ausnahme gibt es: Bei arthrotischen Schmerzen in Gelenken ist Bewegung schmerzlindernder und förderlicher als Ruhigstellung und Schonung. Da kann der Griff zur Schmerzpille angezeigt sein, damit eine Bewegung überhaupt wieder möglich wird. Auch wenn Sportler Schmerzen subjektiv am liebsten verhindern möchten, werden alle irgendwann damit konfrontiert. Oder wie Michael Wawroschek sagt: «Schmerzen gehören zum Leben, und sie bekämpfen zu können, ist ein schönes Gefühl.»

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