Wir essen zu wenig Nahrungsfasern

Paolo Colombani 29. Januar 2025

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Die meisten kennen sie noch unter dem Begriff «Ballaststoffe». Nahrungsfasern sind aber weit mehr als nur Ballast der Nahrung, sondern üben wichtige Funktionen aus. Dennoch ist ihr Konsum in der Schweiz zu gering. 

In der Wissenschaft drehte sich ursprünglich alles um Kalorien, Proteine, Kohlenhydrate und Fette. Danach begann das Interesse an den Mikronährstoffen, den Mineralstoffen und Vitaminen, und schliesslich widmete man sich auch den Nahrungsfasern. Erste wissenschaftliche Berichte über die Nahrungsfasern tauchten gegen Mitte der 1950er-Jahre auf, auch wenn die wesentliche Wirkungsweise der Nahrungsfasern damals noch nicht verstanden wurde. Damals war man noch der Auffassung, dass die Nahrungsfasern nicht im Darm verdaut würden und praktisch keinen Nährwert hätten. Aber genügend Nahrungsfasern würden im Stuhl für eine geeignete Masse sorgen und so die Entleerung verbessern. Deswegen bezeichnete man die Nahrungsfasern ursprünglich «Ballaststoffe».

Die Burkitt-Hypothese

In den 1960er-Jahren änderte sich die Beurteilung der Nahrungsfasern. Immer häufiger vermutete man eine präventive Wirkung bei diversen Erkrankungen, darunter Krebs-, Herz-Kreislauf- und Darmerkrankungen. Diese Hypothese zur präventiven Wirkung der Nahrungsfasern ist nach einem der Forschenden benannt, welcher sich als einer der ersten über diesen Zusammenhang äusserte: Denis Burkitt. 

Die Burkitt-Hypothese zu den negativen Begleiterscheinungen einer Ernährung mit zu wenig Ballaststoffen ist mittlerweile bestätigt. Eine geringe Zufuhr an Nahrungsfasern gilt heute zweifelsfrei als Risikofaktor vieler Erkrankungen wie zum Beispiel Dickdarm-, Leber- und Brustkrebs sowie für die gesamte Krebssterblichkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. 

Wie viel ist optimal?

Doch wie viele Nahrungsfasern sind nötig, wie viel genug? In Europa gilt bei den Erwachsenen ein Referenzwert von 25 Gramm Nahrungsfasern pro Tag. Diese Empfehlung reflektiert aber nur die Menge, die für einen normalen Stuhlgang nötig ist, also entsprechend der ursprünglichen Bedeutung der Nahrungsfasern als «Ballaststoff». Der Schweizer Referenzwert von mindestens 30 Gramm pro Tag unterscheidet sich somit nicht gross vom europäischen Wert. 

Inwiefern die weiteren Wirkungen der Nahrungsfasern mit diesen Mengen optimal ermöglicht werden, ist noch nicht abschliessend geklärt. Sicher ist: Traditionelle Ernährungsweisen enthalten einiges mehr an Nahrungsfasern als 25 bis 30 Gramm. So soll im ländlichen Südafrika und bei ursprünglicher Ernährung die Zufuhr zwischen 50 und 90 Gramm pro Tag liegen und eine Nachanalyse der traditionellen mediterranen Ernährung auf Kreta kam auf knapp 50 Gramm pro Tag. Zudem vermutet man, dass unsere vor etwa 50 bis 100’000 Jahren lebenden Vorfahren sogar mehr als 100 Gramm Nahrungsfasern pro Tag konsumiert haben. Die Schweizer Empfehlung von rund 30 Gramm pro Tag erscheint daher eher als eine minimale und nicht als eine optimale Zufuhr.

Bescheidener Konsum in Industrienationen

Vor rund zehn Jahren wurde der Lebensmittelkonsum zum ersten – und bislang einzigen Mal in der Schweiz analysiert. Die Auswertung zu den Nahrungsfasern erfolgte erst 2024! Gemäss der nationalen Verzehrstudie menuCH betrug der Nahrungsfaser-Konsum bei den 18- bis 75-Jährigen rund 19 Gramm pro Tag. 87 Prozent der Erwachsenen wiesen einen niedrigeren Konsum auf als die in der Schweiz empfohlenen mindestens 30 Gramm pro Tag. Der Konsum an Nahrungsfasern korrelierte zudem negativ und dosisabhängig mit dem Konsum von hochverarbeiteten Produkten. Deshalb forderten die Forschenden, die die Auswertung durchgeführt haben, man müsse in der öffentlichen Gesundheit Massnahmen für einen höheren Konsum an Nahrungsfasern und solche für einen tieferen Konsum an hochverarbeiteten Produkten durchführen. 

Weshalb die Nahrungsfasern in der öffentlichen Gesundheit bisher nicht die gleiche Beachtung wie Salz oder Zucker erreicht haben, lässt sich nicht nachvollziehen. Selbst die Begründung, der Fokus läge auf Salz- und Zuckerreduktion, weil diese Empfehlungen von der WHO getragen werden, ist nicht valide. Denn sogar die WHO empfiehlt richtigerweise, den Konsum von Nahrungsfasern zu fördern.

Nahrungsfasern im Sport

Für den Sport gibt es im Gegensatz zu beispielsweise den Kohlenhydraten oder den Proteinen keine gesonderte Beurteilung bezüglich Nahrungsfasern. Es gilt somit grundsätzlich das Gleiche wie für die allgemeine Bevölkerung. Aufgrund ihrer Wirkung als Futter für die Mikrobiota gelten die Nahrungsfasern auch im Sport als elementarer Baustein einer sinnvollen Ernährung. Hinzu kommt die Vermutung einer möglicherweise besseren Leistungsfähigkeit bei «zufriedenen» Mikrobiota und optimaler Darmgesundheit. Zu wenig Nahrungsfasern müssen daher im Sport nicht nur als suboptimal für die Gesundheit, sondern auch als potenziell leistungsmindernd betrachtet werden. 

Einzige Ausnahme: Kurz vor und während einer intensiven Belastung ist die Aufnahme von vielen Nahrungsfasern zu vermeiden, da sonst Verdauungsbeschwerden auftreten können. Im Alltag hingegen gehören viele Nahrungsfasern zu einer gesunden Sporternährung dazu.

Nüsse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte

Wer den Konsum an Nahrungsfasern verbessern möchte, sollte diverse Lebensmittel fix in den Speiseplan integrieren. Diese sind in erster Linie Nüsse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte. Die Hülsenfrüchte sollen dabei aber nicht als Proteinquelle betrachtet werden, da ihre Proteinqualität doch bescheiden ist. Ein erhöhter Konsum an Hülsenfrüchten zulasten eines geringeren Konsums an tierischen Proteinquellen wäre daher kontraproduktiv für die Muskelgesundheit. 

 

*Ernährungs-Experte Dr. Paolo Colombani ist wissenschaftlicher Berater mit eigener Firma. Zusammen mit Dipl. Ing. ETH Christof Mannhart betreibt er «Notabene Nutrition, das Web-Magazin mit fundierten Artikeln zu Lebensmitteln, Supplementen & Healthy Living. www.colombani.ch; www.notabenenutrition.media