Interview mit Albert Anderegg
Mit über 70 Jahren läuft Albert Anderegg vielen jungen Ambitionierten immer noch um die Ohren. Der Berner Oberländer ist mehrfacher Europa- und Weltmeister bei den Senioren auf der Bahn, im Cross und auf der Strasse und hat noch lange nicht genug.
Welches sind in deinen Augen die Schlüssel dafür, dass man so lange Jahre erfolgreich und beschwerdefrei laufen kann wie du?
Meine Vielseitigkeit ist sicher ein Schlüssel dazu. Damit meine ich zum Beispiel den Wechsel von ganz langsamen zu sehr intensiven Trainings; von ganz flachen Bahnrennen bis zu sehr steilen Bergläufen; sehr kurze und sehr lange Distanzen (von 1‘500m bis Marathon). Vielseitigkeit in den Sportarten, das heisst bei mir neben dem Laufen auch Mountainbiken, Langlaufen, Schneeschuhlaufen usw.
Sehr vielseitige, aber keine spezielle Ernährung inkl. dem täglichen Glas Wein gehört für mich dazu.
Auch meine lang zurückliegenden Erfahrungen als Juniorenleichtathlet haben einen grossen Einfluss. Wie ich es damals gelernt habe, praktiziere ich heute immer noch, im Gegensatz von (zu) vielen meiner Laufkollegen, sehr konsequent das Ein- und Auslaufen.
Auch habe ich gelernt auf meinen Körper zu hören, wobei 'beschwerdefrei' wohl nicht ganz der richtige Ausdruck ist. Wenn man im Sport die Leistungsgrenzen auslotet, kommt man eben auch in diesem Bereich an die Grenze. Da ist mir wichtig, Überbelastungen jeweils frühzeitig zu erkennen, um sofort mittels Reduktion von Intensität und Umfang rasch wieder auf die richtige Seite der Grenze zu kommen.
In welchen Bereichen spürst auch du das Alter? Was für Anpassungen musstest du vornehmen?
Im Vergleich mit meinen Konkurrenten habe ich schon immer relativ wenige Wettkämpfe bestritten. In den letzten Jahren hat die Lust auf Wettkämpfe noch weiter abgenommen.
Zudem habe ich mit der Zeit die Umfänge sukzessive leicht reduziert. So habe ich zum Beispiel in diesem Jahr gemerkt, dass ich bei den Intervalltrainings mit jeweils 2 anstatt 3 Serien einen nachhaltigeren Effekt habe. So konnte ich die einzelnen Läufe schneller absolvieren und konnte mich auch von Serie zu Serie noch steigern.
Noch vor ein paar wenigen Jahren konnte ich bei den Wettkämpfen vom Start weg nahe oder sogar über meinem Limit laufen und das ganze Rennen hindurch "beissen". Heute lohnt es sich für mich, eher langsam und mit Reserve zu starten, um mich dann im Verlaufe des Wettkampfs noch steigern zu können.
Kannst du uns deine Trainingsprinzipien erläutern und ein Beispiel einer Trainingswoche aufführen?
Durch das viele Langlaufen im Goms zusammen mit meiner Frau und mit den vielen Snowboard-Touren hat sich bei mir ganz zufällig den Winter hindurch so etwas wie ein mehrmonatiges Grundlagentraining ergeben. Ich habe mir zum Beispiel in einem Winter mal einen "Höhenmeter-Marathon" auf den Schneeschuhen vorgenommen. Das heisst, in einem Winter habe ich etwa 35 Touren mit etwa 1000 bis 1500 Höhenmeter gemacht. Meine damaligen Befürchtungen, dass ich dadurch für die darauffolgende Laufsaison zu langsam werde, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, es wurde eine meiner besten Saisons. So strebe ich jetzt jeweils von Oktober bis Februar mit langen Mountainbike-Ausflügen, Long Jogs, Snowboardtouren usw. ein regelrechtes Grundlagentraining an. Wobei Training der falsche Ausdruck ist - für mich ist das pures Vergnügen. Von dieser Phase profitiert der Kopf mindestens so viel wie der Körper!
Im Frühjahr genügen mir dann ein paar wenige richtige Trainingswochen, wie unten beschrieben, um in Schuss zu kommen.
Beispiel einer Trainingswoche:
Montag
Sehr intensives Intervall: 3 Serien à 125m - 250m - 500m - 1000m - 500m - 250m - 125m mit je 1 min Pause zwischen den Läufen und je 3 min Pause zwischen den Serien (mangels Bahn auf abgesteckter flacher und verkehrsarmer Asphalt-Nebenstrasse).
Dienstag
1 Stunde sehr langsamer Dauerlauf auf Bergwegen.
Mittwoch
1 Stunde mittlerer Dauerlauf oder Mountainbike-Runde mit 800 Höhenmetern oder Pause.
Donnerstag
1 Stunde mittlerer Dauerlauf auf Naturwegen als lockeres Fahrtspiel.
Freitag
Intensiver Berglauf ca. 30 min/ 600 Höhenmeter auf Bergweg, gemächlicher Rückweg.
Samstag
1 Stunde ganz langsamer Dauerlauf auf Naturwegen.
Sonntag
mittlerer Dauerlauf in hügeligem Gelände.
Du kannst auf eine lange Karriere zurückblicken und hast beispielsweise keine der 36 Austragungen des Grand-Prix von Bern verpasst! Was hat sich bei dir in den letzten Jahren verändert?
Der GP von Bern mit meinen 36 ununterbrochenen Resultaten ist für mich ein gutes Lehrbeispiel, wie wichtig die Erholung für eine optimale Leistung ist.
Meine 36 Resultate von 1982 bis 2017 auf einer Grafik aufgezeichnet ergeben, wenn ich die extremen Ausreisser (Schlüsselbeinbruch usw.) ignoriere, ein sehr interessantes Bild: die Kurve versetzt sich bei meiner Pensionierung praktisch von einem GP zum anderen um drei Minuten nach unten. In den 6 Austragungen zwischen 1996 und 2001 stieg meine GP-Zeit sukzessive von 56.37 auf 59.39. Nach der Pensionierung fiel sie wieder auf 56.21 (2003), um in den neun folgenden erneut kontinuierlich auf 60.30 (2012) zu steigen. Den Bruch von den drei Minuten führe ich zum allergrössten Teil auf die ganz anderen Regenerationsbedingungen zurück, die ich als Pensionierter hatte. Natürlich haben auch die vermehrten sportlichen Aktivitäten wie Biketouren und Wandern im Sommer und Schneeschuh-Touren und Skilanglauf im Winter mit ihren Trainingseffekten etwas beigetragen.
Daraus ergibt sich, dass es unter gewissen Umständen (verfügbare Zeit) viel sinnvoller ist, Zeit in die Erholung als in mehr Training zu investieren.
Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst? Ein Schlüsseltraining, einen Ernährungs- oder Techniktipp zum Beispiel?
Auch wenn ich das ganze Spektrum vom 1500m bis zum Alpin Marathon wettkampf- und trainingsmässig gelaufen bin, habe ich mich in all den Jahren vor allem auf relativ kurze Läufe, so um die 10 km, konzentriert. Meine Grundschnelligkeit war mir immer sehr wichtig und die entsprechenden sehr harten Intervalltrainings machen mir ebenso viel Spass wie ein dreistündiger Long Jog auf dem Gommer Höhenweg.
Andererseits bestreite ich relativ wenige Wettkämpfe. Aber die, die ich mache, mache ich voll konzentriert und mit entsprechender Vorbereitung und Motivation. Das bedeutet für mich, nicht nur im Training, sondern auch in der Auswahl der Wettkämpfe Prioritäten zu setzen.
Foto: ZVG
Wir danken Albert Anderegg für die spannenden Antworten.
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