Interview mit Heinz Schild
Vor wenigen Wochen wurde Heinz Schild von der Universität Bern der Ehrendoktor verliehen. Der visionäre Pionier der Laufbewegung, der unter anderem den Grand-Prix von Bern und den Jungfrau-Marathon ins Leben rief, wurde für sein jahrzehntelanges Engagement für den Schweizer Laufsport geehrt.
Was bedeutet für dich diese Auszeichnung? Kannst du uns Einblicke in deine Gedanken und deine Gefühlswelt gewähren?
Diese Ehrung hat mich riesig gefreut. Ein solches Geschenk habe ich selbst in den kühnsten Träumen nie erwartet. Die Auszeichnung durch die Universität Bern ist zweifellos aussergewöhnlich und belohnt Visionen. Sie ist auch für die ganze Laufszene in der Schweiz wertvoll, als gesellschaftliche Wertschätzung des Ausdauer-Sports. Und ich teile diese Ehre mit meiner Familie, die mich immer unterstützt hat. An meiner Auszeichnung sollen aber auch meine Nachfolger beim Grand-Prix und beim Jungfrau-Marathon teilhaben, die nach mir diese Grossveranstaltungen zur heutigen Blüte gebracht haben.
Deine Auswertungen und Statistiken sind bis weit über die Landesgrenzen bekannt. Welche Zahlen und Entwicklungen sind für dich rückblickend die interessantesten oder vielleicht auch die überraschendsten?
Überraschend: Innerhalb von nur vier Jahrzehnten hat sich die Laufszene Schweiz in einer Weise entwickelt, wie man es sich noch anfangs der 1980er-Jahre nicht hat vorstellen können. Der berühmte Gedenklauf Murten-Freiburg bildete das Mass aller Dinge. 1979 klassierten sich in Freiburg 6507 Läufer – Schweizer Rekord. Nur der 1977 gegründete Zürcher Silvesterlauf und der 100 km-Lauf von Biel konnten da noch knapp mithallten. Keine andere Lauf-Veranstaltung brachte es über 2000 Finisher. Doch die Lauf-Szene war am Erwachen. Die Escalade in Genf startete 1978 noch bescheiden mit 699 Klassierten, 1980 folgte der Greifenseelauf (1400 Gemeldete) und 1982 der Grand-Prix von Bern (2881 Finisher). Und es gab die Pioniere: Unter den Ultras der Bieler 100 km-Lauf (seit 1959, 16 Finisher) und in der Trail-Running-Szene Sierre-Zinal (1974, 422 Finisher). Die bunte Palette runden zwei Events ab, die sich bis heute unter den Top-20 haben halten können: Der Hallwilerseelauf (seit 1975) und die Corrida Bulloise (seit 1976).
Das enorme Wachstum der Schweizer Lauf-Szene zeigt sich in diesen Zahlen:
Interessant: Was heute für jede Läuferin, jeden Läufer als Selbstverständlichkeit gilt – die korrekte Klassierung und Zeitmessung – wurde bis in die 1980er-Jahre für die Veranstalter zur grossen Herausforderung. Im Land der Uhren spielten die bedeutendsten Uhren-Hersteller bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zwar auf dem Konzertflügel, waren aber nicht in der Lage, Massenankünfte zu timen. Es fehlte das Knowhow. Und so erbleichte mancher Rennleiter, wenn selbst 48 Stunden nach der Veranstaltung noch keine korrekte Rangliste in Druck gegeben werden konnte. So auch am 45. Murtenlauf 1977: «5051 Klassierte, plus 252 wegen technischem Versagen nicht klassiert», hält Yves Jeannotat in seinem Buch «Murten-Freiburg» fest. Zwei Jahre später blieben sogar 1142 ohne Rang und Zeit. Eine Totalpanne erlitt der erste Greifenseelauf: «Probleme mit den Ranglisten». Einzig die zehn Spitzenläufer konnten erfasst werden. Und bei der Premiere des ersten GP von Bern alterte der Rennleiter um gute zehn Jahre: Trotz neuster Technologie, dem Schweiz-weit erstmals eingeführten Barcode-System (vom New York City-Marathon übernommen), konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob wirklich alle diese Barcode-Streifen auch auf der richtigen Startnummer aufgeklebt worden waren...
Die Laufszene beobachtest du intensiv seit vielen Jahren. In welche Richtung wird sie sich deiner Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln (müssen)?
Sie hat sich absolut positiv verändert, die Laufszene. Auch dank den Frauen. Mehr Freude, mehr Lockerheit, mehr Spass in den Lauffeldern, auch für Männer ist «mehr Farbe» offensichtlich ansteckend. Kommt dazu, dass viele Veranstalter ihren Gästen (!) ein Fest, ein Erlebnis bieten wollen. Der Organisationsgrad ist in der Schweiz generell auf einem hohen Niveau. Fazit: Die Entwicklung geht in die richtige Richtung.
Sport hat aber immer auch mit Leistung zu tun. Ich will mich vergleichen, ich möchte mich verbessern. Lauf-Literatur, Trainingsanleitungen gedruckt und digital, Lauf-Kurse, Lauf-Ferien, Lauf-Klubs haben (Breiten-)Wirkung gezeigt. Die Laufszene ist zum Breitensport-Faktor geworden. Dennoch müsste diese Entwicklung auch mit einer verbesserten, einer breiteren Leistungsspitze einhergehen.
Dein Wissen hast du auch in Trainingsfragen erfolgreich angewandt und zum Beispiel Markus Ryffel 1984 zu Silber an olympischen Spielen geführt. Welches sind in deinen Augen ganz allgemein die drei Schlüssel, die zu sportlichem Erfolg führen?
- Konsequent, zielgerichtet, vielseitig trainieren. Neben der Hauptdosis Ausdauer auch die Bein-, Bauch- und Rückenmuskulatur, sowie die Beweglichkeit immer wieder schulen
- Genügend Schlaf, «Erholung ist auch Training», Zitat Markus Ryffel
- Motiviere dich immer wieder: Ich will das, ich kann das und ich freue mich aufs Training. Laufen bedeutet Leben, bedeutet Freiheit und das Privileg, zu jeder Jahreszeit und auch bei Wind und Wetter die Natur zu geniessen(!).
Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst?
Eigentliche Trainingsgeheimnisse gibt es heute kaum mehr. Hingegen generelle Tipps. Effizient trainieren heisst auch, sofern möglich, ab und zu den Arbeitsweg zum Training benützen (zu Fuss oder mit dem Rad) und so die Zeit optimal zu nutzen. Als ehemaliger Leistungssportler liebte ich warme, ja heisse Duschen nach Training und Wettkampf. Grundfalsch: Kalt duschen oder eine kurze Abkühlung im Bach, Fluss oder See, mindestens für die Beine, wirken Wunder, beschleunigt die Regeneration – und du fühlst dich (fast) wie neu geboren.
Foto: ZVG
Wir danken Heinz Schild für die spannenden Antworten.
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