Interview mit Severin Lang
Bereits im zweiten Anlauf hat's geklappt: Severin Lang wurde Anfang September im Rahmen der Bieler Lauftage Schweizer Meister über 100 km.
Wie hast du «deinen» Tag (oder besser: deine Nacht) erlebt? Kannst du uns Einblick in dein Rennen und deine Gefühlswelt geben?
Am Renntag wurde ich immer nervöser, und ich versuchte mich irgendwie abzulenken. Es gingen mir viele Gedanken durch den Kopf, wie z.B. «was hätte ich in der Vorbereitung besser/anders machen können» oder «habe ich mich für die richtigen Schuhe entschieden». Als ich in Biel ankam, legte sich das Ganze, und ich freute mich, dass es um 22:00 Uhr endlich losging.
Ich konnte mich von Beginn weg in der Spitzengruppe einreihen, und die Beine fühlten sich beim angeschlagenen Tempo gut an. So haben wir zu viert die erste von fünf Runden (20km) relativ zügig beendet. In der zweiten Runde musste ich circa bei Kilometer 25 abreissen lassen, da mir das Tempo doch etwas zu hoch war, und ich nicht schon zu Beginn des Rennens alle Körner verpulvern wollte. Da kamen ein paar negative Gedanken hoch, aber ich wusste, das Rennen dauert noch lange, und ich muss mich auf mein Rennen konzentrieren.
Gegen Ende der zweiten Runde konnte ich die entstandene Lücke wieder zulaufen und mit der Spitzengruppe in die dritte Runde starten. Ich hatte mein Tempo gefunden und lief ab 43km allein vorneweg. Bis 55km fühlten sich meine Beine gut an, danach begannen die Oberschenkel leicht zu brennen – viel früher als erwartet. Zum Glück verschlechterte sich dies nicht weiter.
Mit dem Start der vierten Runde begann für mich die mental schwierigste Runde. Ich habe dies vor dem Rennen so eingeschätzt. Man ist schon weit gekommen, aber man hat noch fast einen Marathon zu laufen. Dazu kamen kurz vor der 70km Marke relativ plötzlich und unerwartet Magenprobleme. Ich konnte danach aber wieder Nahrung zu mir nehmen und die Pace halten. Zu Beginn der letzten Runde fühlte ich mich wieder gut und freute mich auf die letzten 20km, denn die letzte Runde stand unter dem Motto «geniessen».
Ich habe mir für jede Runde ein Motto ausgesucht, um das Rennen in Segmente zu teilen und so Zwischenziele zu erreichen. Das angeschlagene Tempo konnte ich weiter gut halten und als ich ca. 2km vor dem Ziel realisierte, dass ich das Rennen wirklich gewinnen kann, flog ich regelrecht dem Ziel entgegen. Die Emotionen auf der letzten Zielschlaufe sowie der Zieleinlauf unter Anfeuerungsrufen von bekannten Gesichtern waren extrem schön, und ich habe es voll genossen.
Nach dem Zieleinlauf war ich aber froh, dass es die letzte Runde war ??.
Du bist die 100 km in der «Nacht der Nächte» mit durchschnittlich 4:25 Min./km gelaufen. Wie sieht dein Training aus?
Ich trainiere normalerweise 5-6-mal pro Woche. In der Vorbereitung auf einen Ultramarathon kann es aber auch mehr sein, so dass ich zwei Einheiten pro Tag einplane, um die Belastung zu erhöhen. Während der Woche mache ich dann 12-20km lange Läufe, und am Wochenende plane ich jeweils einen Lauf zwischen 40 und 60km. Für die einzelnen Einheiten wähle ich jeweils unterschiedliche Streckentypen (flach, coupiert) oder variiere jeweils das angeschlagene Tempo, damit keine Langeweile aufkommt.
Zur Auflockerung und Abwechslung füge ich auch Einheiten auf dem Rennvelo ein. Da ich eher ein Gefühlsläufer bin und nicht strikt nach einem Trainingsplan trainiere, sehe ich hier aber zugleich Potential, mein Training effizienter zu gestalten.
Viele Läufer spielen mit dem Gedanken, mindestens einmal im Leben an einem Ultralauf teilzunehmen. Welches sind deine wichtigsten Tipps, damit dieses Vorhaben gelingt?
Die Freude am Laufen ist aus meiner Sicht etwas vom Wichtigsten. Man muss den Willen haben in den Trainingseinheiten an und teils auch über seine Grenzen zu gehen, um den Körper an die Belastung im Rennen zu gewöhnen.
Um das angestrebte Ziel zu erreichen, muss man bereit sein, andere Sachen dem Vorhaben unterzuordnen, um den Fokus nicht zu verlieren. Trainingsintensität und -umfang sollten schrittweise und über einen langen Zeitraum gesteigert werden. Falls man spürt, dass der Körper eine Pause benötigt, lieber eine Einheit weniger machen, um das Verletzungsrisiko zu senken. Qualität kommt vor Quantität.
In der Vorbereitung auf das Rennen setze ich mich mit der Strecke auseinander. Wo hat es Steigungen, wo hat es technisch schwierige Passagen, wo kann ich mich erholen usw. Ich teile den gesamten Lauf in Segmente ein, um während dem Rennen Teilziele zu erreichen und so immer wieder Teilerfolge zu erreichen.
Je besser die Vorbereitung ist, desto mehr kann man das Rennen geniessen. Und die Freude am Schluss im Ziel ist umso grösser über das Erreichte.
Welches sind in deinen Augen ganz grundsätzlich die wichtigsten Punkte, die zum Erfolg führen?
- Die Freude am Laufsport und der Wille, das Vorgenommene umzusetzen
- Eine gute Vorbereitung (Training und Mental)
- Die Balance zwischen Familie, Arbeit und Sport
Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst? Einen Trainings-, Material-, Ernährungs- oder Erholungstipp zum Beispiel, den du jeweils anwendest?
Einen Geheimtipp als solchen habe ich keinen.
- Ich nehme direkt nach jeder Trainingseinheit ein Regenerationsgetränk zu mir, um den Körper bei der Erholung zu unterstützen.
- Teste die Verträglichkeit von Gels (Produkt und Menge) in den Trainings und nicht im Rennen
- Teile das Rennen in Segmente, um Teilerfolge zu haben und so das positive Mindset zu stärken.
Wir danken Severin Lang für die spannenden Antworten.
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