Geheimwaffe Nüchternlauf

11. April 2018

 

Eins vorneweg: Wer einmal entdeckt hat, wie befreiend und erfrischend es sein kann, als erste Aktivität gemütlich Schritt für Schritt in den Tag hineinzulaufen, wird dieses Gefühl lieben, und zwar unabhängig davon, ob es trainingstechnisch das Non plus Ultra ist oder einfach ein ganz gewöhnlicher Dauerlauf.

Aber der Reihe nach: Morgens nach dem Aufstehen sind die Glykogenspeicher nicht mehr ganz voll und der Insulinspiegel ist tief. Wenn man in diesem Zustand trainiert, so die Theorie, dann läuft der Stoffwechsel nicht im „Kohlenhydrat-Modus“, sondern der Körper greift vermehrt auf Fett als Brennstoff zurück und trainiert so seinen Fettstoffwechsel. Im Ausdauersport gilt: Je ökonomischer der Fettstoffwechsel funktioniert, desto sorgsamer können die Kohlenhydratreserven genutzt werden. Um bei langen Einheiten und/oder Wettkämpfen also möglichst lange leistungsfähig zu sein, macht es Sinn, seinen Fettstoffwechsel zu trainieren. Das sehen auch Leistungssportler so, die kenianischen Spitzenläufer beispielsweise absolvieren ihren ersten Dauerlauf des Tages immer nüchtern vor dem Morgenessen.

Was bei der Fettverbrennungstheorie aber beachtet werden muss: Der Körper kann nur dann hauptsächlich die Energie aus den Fettreserven gewinnen, wenn genug Sauerstoff zur Verfügung steht. Mit anderen Worten: Nüchternläufe sollten in einem lockeren Tempo durchgeführt werden, so dass man problemlos dabei sprechen kann. Wer zu schnell unterwegs ist, greift vermehrt auf seine Kohlenhydratreserven zurück. Ein weiterer Punkt: Fettstoffwechseltraining hat grundsätzlich nichts mit Abnehmen zu tun. Man verbrennt zwar bei moderatem Tempo prozentual mehr Fett als bei intensiven Trainings, absolut gesehen aber dennoch weniger, weil intensive Trainings auch weitaus mehr Energie benötigen als langsame. Die wichtigsten Punkte zum Nüchternlauf:

 

Tempo

  • Sprechtempo, ±120 Herzfrequenz reicht, so erfrischt die Sauerstoffdusche nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. 
  • Kein Intervalltraining oder Tempoläufe. Nach dem Aufstehen fühlen sich viele noch steif und unbeweglich, den Nüchternlauf sehr locker angehen ist daher Pflicht. Ein zu intensiver Kaltstart der Muskeln kann zu Verletzungen führen. Und auch Sehnen, Bänder und Gelenke sollten sich eher gemächlich auf den Tag vorbereiten.

Wann

  • Am Morgen Nüchtern, ohne Frühstück, direkt nach dem Aufstehen. Noch einen Schluck Wasser oder Tee trinken, aber dann ab in die Laufschuhe und los gehts! Wer zuerst noch seinen Kreislauf mit einem Kaffee in Schwung bringen muss – nur zu!
  • Die letzte Mahlzeit sollte spätestens 6-8 Stunden vorher eingenommen worden sein.
  • Falls es noch dunkel ist – Stirnlampe nicht vergessen!

Dauer

  • Wer den Nüchternlauf (noch) nicht kennt, sollte dosiert beginnen und vielleicht zuerst einmal mit 20 Minuten starten. Taste dich langsam heran und beobachte, ob es mit dem Kreislauf geht.
  • Je nach Kondition und gesundheitlicher Leistungsfähigkeit kannst du steigern bis auf 40-60 Minuten. Und wer genügend Zeit hat und sich an Nüchternläufe gewohnt ist, kann auch seinen LSD-Lauf (Long Slow Distance) bis zwei Stunden so absolvieren. Da aber allenfalls mit einer kohlenhydrathaltigen Notration in der Tasche für alle Fälle, wenn ein Hungerast droht.

Wo

  • Möglichst direkt von der Haustüre weg. Nicht erst ins Auto steigen, das kompliziert den Start nur unnötig und frisst Zeit weg.
  • Nüchternläufe eignen sich überall, auch in den Ferien. Es braucht nichts ausser Kleidung und Schuhe. Kennst du den Eiffelturm, den Broadway oder die Copacabana morgens um halb sechs? Mit Nüchternläufen lernst du eine Umgebung komplett neu kennen, insbesondere in der Morgendämmerung. Suche dir eine Runde aus, die deinem Zeitrahmen entspricht.

Wetter

  • Ja natürlich, immer, auch bei schlechtem Wetter. Oder sogar erst recht, denn dann sind wirklich nur noch die Hartgesottenen draussen. Und das Frühstück schmeckt nach einem Schlechtwetterlauf gleich noch einmal ein Stück besser!

Zeit

  • Jeder Mensch hat jeden Morgen 24 Stunden zur Verfügung bis zum nächsten Morgen – auch du! Keine Zeit gibt es nicht!

Häufigkeit

  • Der Nüchternlauf ist toll für Körper und Seele, aber als Laufinhalt ein Trainingsmittel von mehreren. Er sollte daher nicht ausschliesslich praktiziert werden. Der Lauf mit leerem Magen dient der Entspannung und dazu, einen neuen Trainingsreiz zu setzen und Abwechslung in den Trainingsalltag zu bringen. Am besten wird er mit anderen Lauftrainings zu anderen Tageszeiten kombiniert.
 

Fazit: Nüchternläufe setzen nicht nur neue körperliche Adaptionsvorgänge im Körper in Gang, sondern üben auch bezüglich Erlebnis eine besondere Faszination aus. Die Luft am frühen Morgen ist messbar besser als abends, die Agenda noch blitzblank, der Tatendrang noch vorhanden, die Batterien voll, die Kreativität gross. Du wirst sehen: Die besten Einfälle kommen dir am frühen Morgen, du kannst den bevorstehenden Tag strukturieren und bist damit allen eine – nicht nur sportliche – Nasenlänge voraus.

Wenn du es einmal erlickt hast mit Nüchternläufen, wirst du sie nicht mehr missen wollen. Und das Beste dabei: Nach einem Nüchternlauf gilt die empfohlene Gesundheits-Devise „Frühstücken wie ein Kaiser“ gleich doppelt!

 

 

Foto:iStock.com