So wählst du das richtige Mountainbike

22. April 2024

FOTO: SPECIALIZED

Du möchtest dir ein neues Mountainbike kaufen? Dann überlege dir gut, wofür genau du es einsetzen möchtest. Das Angebot an Mountainbikes ist so riesig wie noch nie und es gilt: Je spezialisierter ein Bike gebaut ist, desto weniger geeignet ist es für einen anderen Einsatz.

 

Die Naturverbundenheit und der freiheitsliebende Lifestyle an der Westküste der USA boten Mitte der Siebzigerjahre den idealen Nährboden, um ein neues Sportgerät zu erfinden. Eine Gruppe junger Kalifornier schweisste alte Cruiser-Rahmen zusammen und rüstete sie mit Gangschaltung, BMX-Lenker und Ballonreifen aus. Dann hievten sie diese auf ihre Pickups, fuhren damit den Berg hoch bis ans Ende des holprigen Feldwegs, um danach einzeln auf Zeit so schnell wie möglich den Berg hinunterzubrettern.

Bald entstand daraus eine ganze Bewegung, aus der schliesslich die ersten Mountainbikes hervorkamen, mit denen man auch bergauf eine gute Figur machen konnte. Ihre Merkmale: Klassischer Diamantrahmenbau, 26-Zoll-Räder, breite Reifen, viele Gänge, zupackende Cantileverbremsen, gerader Lenker. Die ersten «Bergvelos» wurden vorwiegend aus Stahl gebaut, später auch aus Aluminium und Titan.

Das innovative Offroad-Velo brachte dem Velofahren eine gänzlich neue Mobilität abseits vom Strassenrand. Und auch 50 Jahre später gilt das Mountainbike als Inbegriff von Freiheit auf zwei Rädern, als Verkörperung von Abenteuer und Naturerlebnis. Der grosse Unterschied zu damals: Das Ur-Mountainbike hat in all den Jahren hin zum Massenphänomen materialtechnisch zahlreiche Entwicklungsstufen durchgemacht. Heute gibt es für jede Geländeform, jedes Einsatzgebiet und jeden Anspruch ein spezialisiertes Mountainbike, welches genau diejenigen Bedürfnisse abdeckt, für die man es einsetzen will. Die entscheidende Frage, die sich potenzielle Käufer daher stellen müssen, lautet: Welche Bedürfnisse habe ich?

Hardtail oder Fully?

Eine simple Frage, die leider nicht ganz einfach zu beantworten ist. Denn ein Bike, mit dem es sich aus eigener Kraft gleichermassen perfekt rauf wie runterfahren lässt, ist auch heute noch nicht geboren. Zumal es jede Bike-Gattung in zahlreichen Ausstattungsvarianten gibt von günstig – aber dann oft entweder schwer oder nicht so robust und langlebig – bis teuer und sehr teuer (vereinzelt im fünfstelligen Frankenbereich!), wenn es um Karbongeschosse mit elektrischer Schaltung und speziellen Dämpfungstechnologien geht. Entsprechend ist ein klassisches Mountainbike für anspruchsvolle und lange Mountainbike-Touren aus eigener Kraft anders aufgebaut als ein Bike für Touren mit mehr Bergab- als Bergaufmetern oder gar ein reinrassiges Downhill-Bike mit maximalem Federweg. Doch beginnen wir der Reihe nach.

 

Zuerst sollte man sich überlegen, wie viel «Mountain» denn wirklich im Wunschbike stecken muss. Beziehungsweise wo und wie du das Bike hauptsächlich einsetzen möchtest. Geht es um Ausfahrten im Mittelland vorwiegend auf Waldwegen oder über sanfte Singletrails? Um längere Touren mit vielen Aufwärts-Höhenmetern aus eigener Kraft in den Bergen? Oder bevorzugst du Touren mit deutlich mehr Abwärts- statt Bergaufmetern (und der Zuhilfenahme von Gondeln)? Fahrst du am liebsten auf flowigen Singletrails oder gebauten Bahnen oder willst du dich an grobstufigen Downhills im ruppigen Gelände versuchen oder den Speedrausch inklusive Sprünge ausleben?

 

Reicht ein Hardtail?

Aus den ersten Antworten auf diese Fragen resultiert ein erster konkreter Materialanspruch: Reicht ein Hardtail, also ein Bike, bei dem nur die Vorderachse gefedert ist? Oder braucht es ein Fully, ein Bike mit Federung vorne und hinten? Mountainbikes mit starrem Hinterbau sind leichter und günstiger als vollgefederte Bikes und in der Regel wartungsärmer. Gute und offroad-taugliche Hardtails gibt es bereits ab rund 1800–2000 Franken zu kaufen. Der Nachteil: Bergab sind Hardtails in ihrem Einsatzgebiet eingeschränkt, vor allem im alpinen Gelände. Dennoch ist das Hardtail längst nicht ausgestorben. In der Schweiz beträgt das Verhältnis bei den verkauften Mountainbikes rund ein Drittel Hardtails und zwei Drittel Fullys. Viele Nutzer im Mittelland sind für ihr bevorzugtes Einsatzgebiet mit einem Hardtail bestens bedient und benötigen kein Fully, einige könnten sogar auf ein Gravel-Bike mit breiten Pneus umsteigen.

Je mehr Federung, desto teurer

Wer als Freizeitsportler anspruchsvollere Trails mit Wurzeln und groben Steinen fahren will, ist mit einem Fully sicher glücklicher. Dafür muss man aber auch tiefer in die Tasche greifen. Und schon folgt die nächste Frage: Wie viel Federweg solls denn sein? Das Motto lautet: Je mehr Federweg, desto schneller kann man damit bergab fahren. Aber auch: desto mehr Material braucht es und desto höher das Gewicht. Oder desto wichtiger sind robuste und dennoch möglichst leichtgewichtige und somit teure Komponenten. Das summiert sich dann rasch in Preiskategorien von 4000–6000 Franken oder gar in Bereiche über 10'000 Franken. Fazit: Gute vollgefederte Cross Country Bikes gibt es – mit Alurahmen – zwar bereits ab 2500 Franken, gute Freeride- oder Downhill-Modelle hingegen kaum unter 4000 Franken mit nach oben offener Preisspirale.

 

Die gute Nachricht: Potenzielle Bike-Käufer können aktuell von einer ganz besonderen Situation profitieren. Durch die zeitweiligen Lieferengpässe in Corona-Zeiten sind die Lagerbestände übervoll und viele Händler und Velogeschäft sind gezwungen, massive Rabatte zu gewähren – sich umschauen lohnt sich!

Vom Mountainbike zum «Bergabvelo»

Im Rennbereich ist die Wahl des passenden Bikes noch einigermassen klar. Bei Cross Country-und Marathonrennen wird zeitlich grösstenteils bergauf gefahren, die Weltcupfahrer kämpfen daher mit einem klassischen Cross Country Bike, welches Up- und Downhill möglichst perfekt vereint, um sportliche Meriten. Diese Gattung Mountainbike, die leichtfüssig bergauf klettert und gleichzeitig bergab für genügend Fahrspass sorgt, benötigt aber im Breitensport schon bald «Artenschutz». Denn sie weicht zunehmend Modellen, die mit deutlich mehr Federweg «downhillorientierter» gebaut sind. Kein Wunder, denn heutzutage transportiert praktisch jede Bahn gerne Mountainbiker auf die Gipfel hinauf, und wenn nicht, kommt zunehmend die Stromvariante zum Einsatz.

 

Fun vor Schweiss

Die Entwicklung der letzten Jahre hat dazu geführt, dass es immer weniger Tourenfahrer gibt, die am Ende eines Tages mehr als beschwerliche zweitausend Höhenmeter aufwärts auf ihrem Tacho haben (wollen) und dies konditionell auch schaffen. Am meisten Tourenbeschriebe finden sich auf den gängigen Online-Portalen daher für Routen von 1000–1500 Hm bergauf. Die Zahl der Downhillmeter hingegen ist oft grösser, da eine Bergbahn zu Hilfe genommen werden kann. Das «Bergvelo» tendiert so immer stärker zum «Bergabvelo». Der Mountainbikesport hat sich dadurch dem Skisport angenähert. Bequem rauf, rasant runter.

Zur Downhill-Tendenz hat das touristische Angebot wesentlich beigetragen. Bikeparks wie in Lenzerheide oder speziell gebaute Flow-Trails locken die Mountainbiker aus den Städten und in die Höhe. Wieso Fleiss und Schweiss, wenns auch relaxter geht mit Spass und Sprüngen?

 

Dem Angebot an Mountainbike-Modellen hat die Entwicklung keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Die Palette ist riesig und die Grenzen verschwimmen zunehmend. Das Einzige, was sicher ist: Ohne Vollfederung geht im Sportsegment nichts mehr und die Federwege werden immer länger, «knausrige» 100 mm Federweg vorne wie früher üblich werden auch für reinrassige Tourenfahrer nur noch sehr selten angeboten. Tourenliebhaber finden ihre passenden Bikes vorwiegend irgendwo im Bereich 120 mm bis 140 mm Federweg.

Die Kategorisierung der Industrie lässt sich grob nach Federweg einordnen. Die Bandbreite reicht von 100 mm Federung im Cross Country-Segment bis mittlerweile 250 mm im Downhill-Bereich: Nur logisch, dass dazwischen immer mehr Unterkategorien entstanden sind. Ein wichtiger Hinweis jedoch vorneweg: Es gibt keine fix definierten Bezeichnungen der Industrie. Jeder Hersteller kann seine Bikes nach Belieben einordnen und auch speziell benennen. Viele Bezeichnungen lehnen sich an die Bedürfnisse der Kunden an und wollen ausdrücken, wofür die Bikes verwendet werden können und wo das bevorzugte Einsatzgebiet liegt. Ebenso gilt: Die einzelnen Bezeichnungen bzw. Mountainbike-Typen fliessen nahtlos ineinander. Ein Bike mit 140–150 mm Federweg kann daher vom einen Hersteller als All Mountain Bike bezeichnet werden, vom anderen als Trail Bike oder sogar bereits als Enduro.

Die gängigen Mountainbike-Typen auf einen Blick

Der Universal-Kompromiss

Marathon Bike / Cross Country Bike

Federweg vorne: 100 mm bis 120 mm
Federweg hinten: 100 mm bis 110 mm
Gewicht: 10–13 kg
Kosten: Alu ab CHF 2500, Karbon ab CHF 3500 

Für Genuss-Tourenfahrer

Trail Bike oder All Mountain Bike

Federweg vorne: 120 mm bis 150 mm
Federweg hinten: 120 mm bis 140 mm
Gewicht: 12–16 kg
Kosten: Alu ab CHF 2500, Karbon ab CHF 3500  

Lieber runter, aber ab und zu rauf

Enduro Bike

Federweg vorne: 140 mm bis 180 mm
Federweg hinten: 140 mm bis 170 mm
Gewicht: 15–17 kg
Kosten: ab CHF 3500

Wenn die Gangart härter wird

Freeride-Bike

Federweg vorne: 160 mm bis 200 mm
Federweg hinten: 160 mm bis 200 mm
Gewicht: 17–20 kg
Kosten: ab CHF 4500

Abfahrten «only»

Downhill Bike

Federweg vorne: 180 mm bis 250 mm
Federweg hinten: 200 mm bis 270 mm
Gewicht: 16–24 kg
Kosten: ab CHF 5000

Bike-Kauf mit Köpfchen

Überlege dir gut, wofür du dein Mountainbike der Wahl einsetzen möchtest. Wenn du mit einem Enduro Bike und Federweg 150?mm immer auf Waldwegen rumgondelst, ist das zwar noch lange kein schlechtes Bike, aber wohl das falsche für diesen Einsatz.

Die besten Tipps für den Mountainbike-Kauf: 

  • Für welchen Einsatz möchtest du dein künftiges Bike vorwiegend nutzen? Anteil bergauf, bergab? Wieviel Trailanteil? Bevorzugtes Gelände?
  • Wie sportlich bist du unterwegs bzw. wie stark wird das künftige Bike auch wirklich belastet? Wie robust muss es gebaut sein?
  • Was ist dir wichtig? Federweg, Komfort, Tourentauglichkeit, Gewicht, Optik?
  • Bevorzugst du eine Einfach- oder Zweifach-Übersetzung?
  • Wie billig/teuer soll und darf die Ausstattung sein (Felgen, Schaltgruppe mechanisch oder elektronisch)?
  • Wenn immer möglich: Sitze auf das Bike und absolviere eine Testfahrt (wenn's geht sogar im Gelände). Jedes Bike hat einen anderen Charakter und spricht dadurch auch einen anderen Typ Fahrer an. Wie liegt dir das Handling, das Fahrverhalten, die Sitzposition? Nuancen (Länge Vorbau, Sattel, Lenkerbreite) können im Fachhandel gut noch vor Ort angepasst werden, was beim Online-Kauf nicht möglich ist.
  • Frage deinen Lieblingshändler, welche Optionen er für deinen Einsatz bereithält.
  • Tipp: Die Lagerbestände sind aktuell voll, letztjährige Bikes daher teilweise äusserst günstig zu kaufen.