Strasse oder Trail – die grössten Unterschiede

20. May 2025

Foto: Andreas Gonseth

Trailrunning boomt – und mit ihm die Begeisterung für schmale Pfade, steile Anstiege und spektakuläre Ausblicke. Doch wer vom Strassenlauf ins Gelände wechselt (oder umgekehrt), merkt schnell: Das eine hat mit dem anderen nur begrenzt zu tun. Die grössten Unterschiede und worauf man achten sollte.

Physische Anforderungen

Ganzkörper vs. Geradeaus:

Beim Laufen auf Asphalt bewegen wir uns auf ebenem, vorhersehbarem Untergrund. Der Bewegungsablauf ist gleichmässig, der Fussaufsatz gut zu kontrollieren. Das ist relativ einfach gezielt trainierbar, kann aber auch zu einseitiger Belastung führen. Auf der Strasse arbeiten vor allem das Herz-Kreislauf-System und die passiven Strukturen: Sehnen, Bänder, Gelenke. Diese müssen einerseits langfristig an die monotone Belastung gewöhnt werden, und gleichzeitig werden sie auch arg strapaziert durch lange Läufe wie einen Marathon, deshalb laufen auch ambitionierte Läufer:innen meistens nicht mehr als zwei bis drei Marathons pro Jahr.

Ganz anders beim Trailrunning: Da fordert das Gelände die Muskulatur aktiv in alle Richtungen. Der unebene Untergrund, abrupte Richtungswechsel, Steigungen und Gefälle aktivieren nicht nur Beine, sondern auch Rumpf, Arme und die stabilisierende Tiefenmuskulatur – quasi ein gratis Krafttraining beim Laufen. Das beugt einseitiger Belastung vor und ermöglicht bei vernünftiger Einteilung sogar mehrere lange Trailruns pro Jahr.

Besonderheiten im Gelände:

  • Bergauf: Grössere Hüftbeugung, Abdruck über den Vorfuss, starke Belastung von Waden und Oberschenkeln, aktiver Armeinsatz.
  • Bergab: Exzentrische Belastung der Muskulatur (v.a. Oberschenkel), erhöhte Koordinationsanforderung.
  • Seitwärtsbewegungen und Sprünge: Fordern Balance, Kraft und Agilität – ideal zur Verletzungsprophylaxe.

Mentale Herausforderung

Monotonie vs. Motivation

Ein schneller Strassenlauf ist mental oft fordernder als ein Trailrun. Auf Asphalt läuft man im konstanten Tempo, ohne nennenswerte Veränderungen, immer am Anschlag. Der Kopf muss lange positiv mitziehen, auch wenn es «nichts Neues» gibt.

Auf Trails hingegen gibt das Gelände den Rhythmus vor. Die wechselnden Reize, die Natur, die Bewegung in Wellen – all das gibt immer wieder neue Impulse und hilft, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Selbst bei einem Tief gibt es Ablenkung: Ein Panoramablick, ein Bachübergang, ein Zwischenziel – oder gar eine Gämse. Und meist gibt es auch Abwärtspassagen, bei denen man sich etwas erholen kann. Die Vielfalt im Gelände macht Trailrunning für viele motivierender als das Laufen auf Teer.

Technische Skills

Reines Laufen vs. Bewegungskompetenz: Wer auf der Strasse schnell laufen will, braucht ein hohes Tempo, eine ökonomische Technik und eine gute Tempohärte. Es geht um Laufstil und Effizienz.

Beim Trailrunning dagegen zählt Bewegungsintelligenz: Trittsicherheit, Gleichgewicht, Reaktionsschnelligkeit. Ob Steine, Wurzeln, Matsch oder Geröll, man muss sich ständig neu anpassen, Schritt für Schritt. Das fördert nicht nur das Körpergefühl, sondern macht das Training vielseitiger – allerdings auch anspruchsvoller.

Pacing

Tempo gegen Gefühl

Auf der Strasse lässt sich das Rennen meist exakt planen: Kilometerzeiten, Zwischenzeiten, Zielzeit – alles basiert auf Tempo oder Puls. Diese Tools funktionieren im Gelände nur eingeschränkt.

Beim Trailrunning ist das Pacing daher intuitiver. Tempoangaben sagen am Berg wenig aus, und auch der Puls kann wegen der ständig wechselnden Belastung irreführend sein. Deshalb zählt hier: Körpersignale lesen, Erfahrung sammeln und clever einteilen, etwa durch den Wechsel von Laufen und Gehen an langen Anstiegen.

Praxistipp: Fürs Trailrunning lohnt sich ein Höhenprofil auf dem Unterarm oder ein mentaler Plan mit Zwischenzielen, damit man weiss, wie lange ein Anstieg ist, wann Energie gespart oder investiert werden kann.

Erlebnis

Wettkampf vs. Abenteuer

Für viele Strassenläufer:innen ist der Wettkampf ein harter Test gegen die Uhr mit klaren Zielzeiten und Platzierungen. Der Fokus liegt auf Leistung, Schnelligkeit, Vergleichbarkeit, nicht nur mit Konkurrenten, sondern auch mit seinen eigenen Bestzeiten.

Im Trailrunning ist die Vergleichbarkeit durch die immer wechselnden Bedingungen nicht möglich. Nicht nur ein Rang zählt, sondern meist steht das Erlebnis im Vordergrund: das Naturgefühl, der Flow auf den Trails, das Glücksgefühl auf dem Gipfel. Zwar gibt es auch hier ambitionierte Rennen doch der Spirit ist oft entspannter und kameradschaftlicher. Wer einmal mit brennenden Oberschenkeln auf einem Grat steht und ins Tal blickt, weiss: Das ist mehr als einfach schnell rennen.