Interview mit Jack Burke

11. September 2024

Foto: ©Sportograf

Der 29-jährige kanadische Radrennfahrer hat zum zweiten Mal den Ötztal Cycling Marathon, die „inoffizielle Weltmeisterschaft im Radsport-Marathon“, gewonnen. Das ist alles andere als selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass er vor einem Jahr einen schweren Unfall erlitten hat, bei dem er ernsthafte Gehirnverletzungen davontrug.

Nach 2022 hast du in diesem Jahr das Rennen zum zweiten Mal für dich entschieden und auf eine 227 m lange Strecke mit gut 5.500 m Höhenunterschied bewältigt. Kannst du uns schildern, wie du diese Erfahrung erlebt hast und was du gefühlt hast?

Ich bin im siebten Himmel, dass ich das in diesem Jahr erneut geschafft habe. Es war ein unglaubliches Rennen, da ich nicht erwartet hatte, dass es mir gelingen würde, die Spitze der Fahrer wieder einzuholen. In unserer Gruppe wollte niemand das Kommando übernehmen, und auf einmal waren wir 20 Minuten im Rückstand! Ein Sieg wie dieser, nach dem schrecklichen Unfall und gerade einmal vier Monaten Training, ist fantastisch.  

Du hast den Verkehrsunfall angesprochen, bei dem du im Januar 2023 verunglückt bist und mit schweren Hirnverletzungen im Krankenhaus aufgewacht bist. Kannst du uns erklären, wie es dir gelungen ist, wieder ganz nach oben zu kommen?

Mit 24 Jahren bin ich nach Europa gekommen, um meinen Traum zu verfolgen, Profi-Radrennfahrer zu werden. Manchmal verpasste ich den Einzug in die World Tour nur knapp. Anfang 2022, dem Jahr, in dem ich den Ötztaler Radmarathon zum ersten Mal gewonnen habe, hatte ich mir das Becken bei einem Unfall gebrochen, der mir die Saison ruinierte. Im September war ich jedoch schon wieder in Form, und ein Sieg bei meinem Hausrennen war das Sahnehäubchen auf der Torte. Dann, Anfang 2023, hatte ich den Unfall: Alles schien verloren und dieses Ereignis besiegelte im Grunde das Ende meiner Radsportkarriere.

Ich wurde von einem Auto angefahren und trug schwere Hirnverletzungen und Wirbelsäulenbrüche davon. Zuerst erzählte mir die Person, die mich angefahren hatte, ich sei von alleine gestürzt und er hätte mich gerettet, da ich bewusstlos war und mich an nichts erinnerte. Ein Jahr später habe ich erfahren, wie es wirklich war, aber da konnte ich nichts mehr machen. Deshalb hatte ich 2023 kein Rennteam und die Hirnverletzungen machten mir rund 1 ½ Jahre zu schaffen. 

Als wäre das nicht schon genug gewesen, habe ich nach dem Aufwachen im Krankenhaus erfahren, dass ich in den vergangenen Monaten keinen Krankenversicherungsschutz mehr gehabt hatte, obwohl ich es hätte haben sollen. Mit mehreren Wirbelsäulenfrakturen, einem demolierten Gesicht und einer auf einem  Auge um 30 % reduzierten Sehkraft, völlig aus dem Lot geratenen Zähnen und einer Hirnblutung musste ich schauen, wie ich die Behandlungskosten bezahlen konnte und versuchen ein Team zu finden, um meinen Traum, Profi-Radrennfahrer zu werden, weiter zu verfolgen. 

Ich wollte immer einen ausführlichen Leitfaden an die jüngere Version meiner Selbst, die versuchte, Profi zu werden, schreiben, und in den letzten 3 Jahren habe ich verschiedene Texte verfasst. Meine anfängliche Idee, einen Trainingsleitfaden zu schreiben und online zu verkaufen, um meine Behandlungskosten zu bezahlen, wurde schliesslich zu einer neun Monate andauernden Arbeit, die mich jeden Tag vier Stunden und 12 Minuten beschäftigt hat (ich habe die Zeit mit einem Timer auf dem Schreibtisch gemessen) und die die Form eines dicken Buchs mit 600 Seiten angenommen hat. 

Die Hörbuchversion des Leitfadens umfasst sechs Podcasts mit Sepp Kuss, Alison Jackson, Jan Maas, Dan Bigham, Mitch Docker und Svein Tuft: Wer möchte, kann sich also auch ihre Tipps anhören. Ich wollte nur einen ausführlichen Leitfaden an eine jüngere Version meiner Selbst verfassen, die sich keinen Coach leisten konnte, die aber deshalb trotzdem nicht darauf verzichten wollte, ihren Traum zu verfolgen. 

 

Das Buch ist erschienen und war ein unglaublicher Erfolg. Sechs Wochen nach der Veröffentlichung habe ich anerkennende Worte von zumindest zwei Radrennfahrern jedes männlichen und weiblichen World Tour-Teams erhalten. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit meinen Worten diese Radsportler erreichen würde, weil ich voller Bewunderung auf sie blickte. 

Nach dem Buch hat sich mein Podcast entwickelt und tut dies immer noch. Er ist völlig gratis und das einzige Ziel besteht darin, kostenlos Informationen über den Radsport und das Training zu geben, indem man die besten Radsportler und Trainer der Welt zu Wort kommen lässt. Er kann auf Spotify abgerufen werden. Man muss einfach nur eingeben: “How To Become A Pro Cyclist with Jack Burke”.

Ende April 2024 habe ich eine Folge mit Steve Neal aufgenommen, einem kanadischen Trainer, von dem ich noch nie gehört hatte. Ich wollte nur sehen, was ich von ihm lernen könnte, aber diese Erfahrung hat mich so berührt, dass wir am Ende der Folge beschlossen, dass er mich einige Monate lang trainieren würde um zu sehen, was ich davon hielte. Ich hatte kein Rennrad und ich wusste nicht einmal, ob wir auf der Strasse, offroad, mit dem MTB XC oder Skimo trainieren würden. Ich war einfach begeistert, jemanden gefunden zu haben, mit dem ich arbeiten konnte. Ich habe dann ein Rad von Scott bekommen, und zwischen neuen Hobbies, Bücher in der Pipeline und Podcasts, ging ich das Training mit viel mehr Ruhe an. Zum ersten Mal waren es die anderen (mein Trainer und meine Freunde) die mich ermunterten, es noch mal zu versuchen, aber mir gefiel es, zu trainieren, weil es mir Spass machte. Ich dachte, meine Karriere als Radsportler wäre beendet.  

Kannst du uns etwas mehr über deine Philosophie erzählen? Was sind die wichtigsten Botschaften des Buchs?

  • Baue dir ein Team aus Mentoren auf, die die Ziele erreicht haben, von denen auch du träumst. Kontaktiere Profis und du wirst mit Erstaunen feststellen, dass sie Fragen gerne beantworten und dir fantastische Tipps geben, weil sie einmal so wie du waren. Mein Buch und meine Podcasts sind buchstäblich das Resultat der Informationen, die ich auf diese Weise mehr als 10 Jahre lang zusammengetragen habe.
  • Das Leben als Profi-Radrennfahrer ist sehr hart. Du musst dir ein Leben aufbauen, das dir gefällt und dir erlaubt, auch das Beste aus dir als Sportler heraus zu holen. Dann wirst du diesen (harten) Weg nicht als Opfer betrachten, sondern als Privileg, um deinen Traum verfolgen zu können. Stehe immer wieder auf, zeige immer, dass du da bist. Aber es muss dir gefallen, weil es vielleicht 10 Jahre braucht. Du kannst noch so taff sein, deine Karriere wird nie so lange sein wie die eines Menschen, der sich immer wieder einbringt und der es immer wieder versucht.
  • Wer das Mittelmass wählt, erzielt durchschnittliche Werte, während derjenige, der über die Grenzen hinaus geht, ausserordentliche Ergebnisse erzielt. Du musst dich hineinknien. Wer die Schilderung deines Trainings anhört, muss denken, dass du übertreibst oder verrückt bist. Die harte Arbeit bringt ihre Früchte, und es wird immer jemanden geben, der noch entschlossener und hungriger als du bist. Gehe weiter!
 

Welche sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Tipps für einen Amateur-Radsportler?

  1. Iss mehr, wenn du trainierst, damit du genug Energie hast und dich nach der Anstrengung nicht vollstopfen musst. Wenn du während dem Radfahren mehr isst, kannst du intensiver trainieren und erholst dich viel schneller.
  2. Trainiere viel in der Nähe deiner FTP. Bei mir hat diese Strategie funktioniert. Ich trainiere sehr viel knapp unter meiner ersten und zweiten Laktatschwelle.
    Heute trainiere ich weniger und habe viel weniger Zeit, mein Rad nach einem Arbeitstag am PC heraus zu holen. Deshalb gibt es kein Pardon, wenn ich in den Sattel steige. Das Trainingsvolumen ist deutlich niedriger als zu der Zeit, als ich Vollzeit-Profi war, aber ich setze alles daran, von Anfang bis Ende in den richtigen Zonen zu sein.
  3. Erhöhe das Trainingsvolumen auf dem Rad und konzentriere dich auf diesen Aspekt, bis du 20 Trainingsstunden erreichst. Stretching, Hitzetraining und Höhentraining, Krafttraining und Core Training, Massagepistolen und Geräte zur Förderung der Erholung sind super, wenn man die Grundlagen beherrscht. Die Ernährung und den Schlaf korrekt zu überwachen hat Priorität. Opfere das Training nicht, um dich auf andere Aktivitäten zu konzentrieren, bevor du nicht mindestens 20 Stunden pro Woche Radfahren kannst. Die Feinarbeiten sind wichtig, aber wenn dein Trainingsvolumen unter dieser Schwelle liegt, würdest du glaube ich viel mehr davon profitieren, wenn du vor allem an den Grundlagen arbeiten würdest.