Interview mit Robbie Simpson

25. September 2018

Bilder: www.alphafoto.com

Zum zweiten Mal nach 2016 hat der Schotte Robbie Simpson den Jungfrau-Marathon gewonnen. Auf der schönsten Marathon-Strecke der Welt siegte der Bronzemedaillengewinner der diesjährigen Commonwealth Games in neuer persönlichen Bestzeit.

Wie hast du «deinen» Tag erlebt? Kannst du uns Einblick in dein Rennen und deine Gefühlswelt geben?

Ich startete mit viel Vertrauen ins Rennen, weil das Training und die Rennen in den letzten Wochen gut liefen. Mein Plan war, mein eigenes Rennen zu laufen, egal was die anderen taten.

Die erste Hälfte lief ich entspannt und mit 1:14.30 schneller als in den Vorjahren. Ein Indiz für meine gute Form. Ab Lauterbrunnen und mit Beginn der steilen Steigung spürte ich definitiv, dass es ein guter Tag werden würde. Ich genoss das Rennen und die Strecke mit der wunderbaren Sicht auf die Berge.

Auf dem Weg hoch nach Wengen verpflegte ich mich gut und schloss zum bis anhin führenden Mekonnen Birhanu auf. Dieser reagierte aber mit einer Tempoverschärfung und legte sogleich wieder 15 Sekunden Distanz zwischen uns. Kurze Zeit später wurde mir bewusst, dass er sich damit "nur" die Sprintwertung in Wengen sichern wollte. Denn schon bald holte ich ihn ein und befand mich fortan an der Spitze. Ich lief danach wirklich am Limit und versuchte das Loch aufzureissen. Ich genoss das Rennen, auch wenn es richtig hart war. Ich konzentrierte mich so gut es ging auf das, was noch kam und nicht, was hinter mir passierte.

Ab Wixi hatte ich als Resultat negativer Gedanken eine Krise zu überwinden. Die Beine waren plötzlich sehr müde, die Koordination wurde schlechter. Ich fokussierte mich aber wieder aufs Positive, dass es nur noch 2km berghoch geht, und dass es für alle gleich ist. So konnte ich diesen schwierigen Moment meistern und sogar erstmals die ganze Moräne laufen!

An der höchsten Stelle blickte ich zum ersten Mal zurück und sah niemanden mehr. Ein wunderbares Gefühl. Den Jungfrau-Marathon zum zweiten Mal zu gewinnen ist schwieriger, aber gleichzeitig ein einmaliges Gefühl.

Du warst dieses Jahr an den Commonwealth Spielen sowie bei mehreren top besetzten Bergläufen auf dem Podest. Kannst du uns einen Einblick in deinen Trainingsalltag gewähren?

Normalerweise trainiere ich täglich, meist sogar zwei Mal pro Tag. So komme ich im Sommer auf 160-180 km, im Winter auf 180-200 km pro Woche. 70% davon sind auf Trails, 30% auf Asphalt. Im Sommer laufe ich viel im Gelände, im Winter tendenziell in der Fläche, wobei ich auch da versuche, mit Läufen im Gelände für Abwechslung zu sorgen. Grundsätzlich empfehle ich Trailläufern, regelmässig auf der Strasse zu laufen, und Strassenläufern, bewusst das Gelände für ihre Trainings aufzusuchen.

Wenn ich laufe, spielt das Tempo keine grosse Rolle. Viel wichtiger ist mir, dass ich das ganze Jahr ohne Unterbruch trainieren kann. Ich laufe viel mit tiefem Tempo und bin so frisch genug für die intensiven Einheiten. Meine Trainingswoche sieht in der Regel zwei intensive Einheiten (z.B. Intervalle mit 1km-, 5min- oder 2km-Belastungen oder Tempo-Läufe bis 40min, im Sommer auch am Berg) und einen langen Lauf (30 bis 36km leicht gesteigert, im Sommer mit bis zu 1500 Höhenmetern) vor. Dazwischen gibt es leichte Einheiten mit tiefem Tempo.

Ich achte einerseits besonders auf genügend Erholung zwischen den intensiven Einheiten, damit ich Woche für Woche mein Wochensoll laufen und nach und nach die Leistungsfähigkeit aufbauen kann. Anderseits versuche ich durch das Differenzieren der Trainingsformen bewusst unterschiedliche Reize zu setzen.

Welches sind für dich die drei Schlüssel zum Erfolg?

  • Konstanz: Versuch, möglichst jede Woche eine bestimmte Kilometersumme zu laufen und damit kontinuierlich schneller zu werden.
  • Differenzierung: Lauf mal kurz, mal lang, mal leicht, mal intensiv. So dass dein Körper sich immer wieder anpassen muss.
  • Die Liebe zum Laufen: Wer Freude am Laufen hat, wird jeden Tag mit Genuss trainieren gehen. Finde einen Weg, dass du das Laufen geniessen und lieben kannst. Verabrede dich mit Freunden, lauf bei Tageslicht und an möglichst schönen Orten.

Wir sehen dich Jahr für Jahr in der Schweiz an diversen Laufveranstaltungen. Kannst du uns einen Überblick über die schottische Laufszene geben? Irgendwelche Veranstaltungen, an denen man unbedingt teilnehmen müsste?

Die schottische Szene präsentiert sich ziemlich anders. Es gibt zwar rund 300 Bergläufe pro Jahr. Diese sind aber sehr klein mit meist bloss 100 bis 200 Teilnehmern, einem Startgeld von 2 Euro und entsprechend relaxter Stimmung. Das Spezielle bei einer Vielzahl dieser Läufe ist die Tatsache, dass es keinen definierten Weg zum Ziel gibt. Jeder läuft mit Karte und muss sich den Weg ins Ziel selber suchen. Das ist bei unseren teils garstigen Wetterbedingungen gar nicht so einfach ;-)

Während den Wintermonaten gibt es zudem Cross-Country-Läufe, die im Vergleich dazu ziemlich gross sind. Hier starten jeweils rund 1000 Läuferinnen und Läufer und werden von vielen Zuschauern bejubelt. Wer mit dem Gedanken spielt, in Grossbritannien an einem Rennen zu starten, der sollte an einem Geländelauf der Balmoral-Serie teilnehmen, an einem Berglauf, an einem Cross-Country Rennen oder natürlich am London Marathon!

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst? 

Dass ich an jedem Vorabend eines Rennens eine Pizza esse, ist vielleicht nicht gerade der beste Geheimtipp. Darum hier noch zwei weitere: 

  1. Finde heraus, wie viel Erholung dein Körper braucht und plane dein Training entsprechend. 
  2. Fürchte dich nicht, langsam zu laufen.